„Wieder Weihnachten! Jedes Jahr das Gleiche: Anne bekommt einen Reisegutschein, Sylvia ein Do-it-yourself-Buch, Wolfgang eine Karte für die Oper und ich Socken. Manchmal auch Krawatten, aber meistens Socken“. Werner schüttelte den Kopf. Er dachte sich immer etwas Besonderes aus.
Das Reiseziel für Anne wechselte jedes Jahr, das Buch für Sylvia war in Englisch und die Opernkarte häufig für eine Premiere. Nur er wusste, im
Voraus, allein an der Form der Verpackung, dass es wieder die berühmten Socken sein würden. „Ach! Könnte es doch einmal etwas anderes sein“.

Der Weihnachtsabend hatte ebenfalls einen immer gleichen Ablauf. Sie versammelten sich um 17.00 Uhr, standen um den geschmückten Baum,
sangen „Oh, du Fröhliche“, wünschten sich ein gesegnetes Fest, stießen mit deutschem Sekt – halbtrocken – an, setzten sich und packten die Geschenke aus. Werner betrachtete den Stapel Pakete, der für ihn bestimmt war. Größe und Verpackung ließen nichts Gutes hoffen. „Vielleicht sind in diesem Jahr wenigstens die Muster der Socken so, dass man sie tragen kann“. Energisch entfernte er die Schleife und das Weihnachtspapier. In dem kleinen Karton, unter Seidenpapier, entdeckte er nur ein Kärtchen, auf dem, in schöner Handschrift, nur ein Hinweis stand: 1 SOCKE. Er drehte die Nachricht um, aber das war alles. „Sehr lustig. Toller Scherz zu Weihnachten. Die 2. Socke folgt wahrscheinlich später“. Werner schaute in die Runde, aber niemand schien von ihm Notiz zu nehmen. Er öffnete das nächste Päckchen, das ein Zwilling des Ersten war, und fand wieder nur eine schriftliche Nachricht: HAIN WEG 2. „Vielleicht muss ich meine Socken noch im Geschäft abholen“, Werner war nicht erbaut.

Er steckte sich eine Zigarre an, wobei er genau wusste, dass Anne dies nicht ausstehen konnte. Nichts geschah, keine Reaktion. „Gut! Dann öffne ich doch das Nächste“. Diesmal keine Nachricht, sondern ein Kleeblatt, aus gestanztem, grünen Blech, mit der Zahl 163. „Was hat das zu bedeuten? Ich kann damit nichts anfangen“. Es blieb noch ein Brief übrig, „Hoffentlich kommt jetzt die Aufklärung“. Die Nachricht lautete: Gehe zu o.a. Adresse. Nimm das Kleeblatt mit. „Eigentlich habe ich dazu keine Lust. Ich will ihnen aber den Spaß nicht verderben. Ich gehe. Es ist ja gleich ums Eck."

Werner hatte sich winterlich angezogen, denn es begann zu schneien. Er hatte seine Mütze tief über beide Ohren gezogen, hielt den Kopf gesenkt,
sodass er fast an der Adresse vorbeigelaufen wäre. Er schaute auf das Klingelschild. Der Name sagte ihm nichts. „Jetzt mache ich auch weiter, auch wenn ich mich blamiere“. Er drückte auf den Knopf.


„Frohe Weihnachten! Wir warten schon auf sie. Gehen Sie hinten durch in den Stall und nehmen Sie das mit. Sie werden es brauchen!“. Mechanisch griff Werner zu und wurde dabei sanft, aber bestimmt in die gewünschte Richtung geschoben. Die Stalltür wurde geöffnet. Werner wurde jetzt hineingezogen. Kaum war er im Raum, sprang ein kleines Etwas an seinem Bein hoch. „Er hat sie gleich erkannt und als seinen Herrn adoptiert. Darf ich vorstellen: Das ist Socke, ihr Hund“. Werner war sprachlos. „Befestigen sie die Steuermarke, das Kleeblatt, am Halsband und legen sie ihm die Leine an“. Jetzt erst bemerkte Werner, dass man ihm eine Leine samt Halsband in die Hand gedrückt hatte. „Nun los, Werner. Sonst brauchst du nicht so lange für deine Socken!“ Seine Mitbewohner waren ihm heimlich gefolgt und freuten sich über das erstaunte, aber überaus glückliche Gesicht Werners.

„Das ist die schönste Socke, die ich jemals bekommen habe“, sagte Werner, indem er den kleinen Terrier kraulte. „Wirklich ein zauberhaftes Geschenk!“


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