Es wurde Oktober, bis Mareike endlich wegen ihrer kaputten Schulter in die Klinik konnte. Schon seit dem Frühjahr kannte sie die Diagnose. Doch ihre Umstände zu Hause machten es unmöglich. Ständig übereilen Chaos und Missverständnisse Mareike gnadenlos.
Nun war es so weit, sie fuhr mit dem Taxi nüchtern in die Klinik. Ihre OP fand am selben Tag statt. Eine sehr freundliche Schwester brachte die junge Frau ins Zimmer. Es war ein Zweibettzimmer. Das Bett am Fenster war noch frei, das freute Mareike. Im anderen Bett lag eine Frau. In ihrem Gesicht waren ihre Schmerzen zu erkennen. Sie konnte nur an zwei Krücken und sehr schlecht gehen. Die Beiden stellten sich gegenseitig vor und Paula, so hieß die Frau, kam aus Portugal. Das freute Mareikes Herz. Aufgeregt, teilte sich Mareike mit. Sie war überglücklich, eine freundliche Bettgenossin zu haben. Endlich reden, frei raus was sie wollte, lachen, nicht falsch verstanden werden.
Paula bekam das: „Mir ist alles egal“ Medikament und wurde zur OP abgeholt. Mareike bekam dieses Medikament auch. Doch es dauerte noch eine ganze Weile.
Endlich ging es bei ihr los. Sie schoben sie in den OP.
Als sie sich wieder spürte, befand sie sich in einer Art Trance. Zwischen Wachzustand und Schlaf wechselnd. Ihr Bett stand auf dem Flur, ein Aufwachraum gab es keinen. Das war eine kleine Klinik. Ihr Bett schoben sie wieder in das Zimmer. Nun lag Paula am Fenster. Aufgrund der Reihenfolge ihrer Operationen standen ihre Betten jedoch vertauscht im Zimmer. Das korrigierten sie später, das war eine lustige Angelegenheit.
Die beiden unterhielten sich, Zeit gab es dazu genug. Mareike verbrachte früher viele Urlaube in Portugal. Mit den wenigen Worten, die sie sprechen konnte, verständigten sie sich und mussten dabei immer wieder in schallendem Gelächter ausbrechen. Sie verstanden sich auf Anhieb. Es war so vorgesehen, dass sich diese beiden Frauen begegnen.
Dann kamen die Schmerzen, jede litt fürchterlich. Paula wurde am Knie operiert. Starke Schmerzmittel, verabreichten die Ärzte gegen die Schmerzen. Mareike glaubte sterben zu müssen. Zum Glück war der Narkosearzt am nächsten Tag vor Ort. Dieser verpasste ihr eine Betäubungsspritze. Die Spritze selbst war kaum auszuhalten. Er spritzte in die frisch operierte Schulter. Aber die sofort einsetzende Wirkung ließ alles schnell vergessen. Durchatmen, nicht bei jeder Bewegung höllische Schmerzen fühlen. Das fühlte sich toll an. Leider eine einmalige Sache.
Das Klinikpersonal war spitze, sie sprühten vor Freundlichkeit. Diese war nicht aufgesetzt, sondern die kam tief aus ihren Herzen. Zur Visite, die gleich am Morgen während des Frühstücks stattfand, kamen immer drei bis vier Personen.
Zum Glück war das Wetter noch gut. Die Temperaturen angenehm. Manchmal gingen sie auf den Balkon, um frische Luft zu schnappen. Dieses freie Plätzchen war Gold wert. Schnell war die tolle Zeit vorbei.
Der Tag der Entlassung kam. Schnell waren ihre mitgebrachten Kleidungsstücke und das Waschzeug verpackt. Paulas Mann kam etwas früher. Er brachte ein Gläschen Quittengelee mit. Das übergaben sie Mareike. Sie verabschiedeten sich.
Mareike war nun alleine. Fünf Tage, an denen sie unbeschwert durchatmen konnte. Die Schmerzen waren das eine, doch die Ruhe unbezahlbar. Sie wartete auf ihren Mann, er versprach ihr, sie abzuholen. So stand sie am Fenster und beobachtete den Parkplatz unter der Klinik.
Dort stand ein Kombi, der stand schon eine Weile. Es war ein Vertreter oder sonst ein geschäftiger Mann. Die Aufschrift am Auto, welche nicht zu lesen war, bestätigte ihre Vermutung.
Dann kam Mareikes Mann. Er parkte neben diesem beschrifteten Kombi und stieg aus. Mareike freute sich. Eine Krankenschwester kam ihr zu Hilfe, um das Gepäck hinunterzubringen. Sie gingen in Richtung Auto und sahen Mareikes Mann, wie er sich mit diesem Fahrer stritt.
Mareike wurde sehr traurig. Denn das war ihr Schicksal, ein Mann, der sich nicht unter Kontrolle hatte. Er fühlte sich ständig und von jedem angegriffen. Seinen Frust ließ er an ihr aus, sie war sein Blitzableiter.
Als Mareike das sah, ging sie ein paar Schritte zurück. Sie wendete ihren Blick zu der Krankenschwester. Diese sah die Verzweiflung in Mareikes Augen und meinte so salopp: „Vergiss es einfach.“
Doch in Mareikes Kopf wälzten sich die Gedanken, ihr Arm schmerzte und sie fühlte sich hilflos. Im Stillen fragte sie sich, ob das nun eine klare Ansage war, diesen Mann zu verlassen. Er schadetet ihr mehr als dass er ihr guttat. Immer wieder bezeugte er ihr seine Liebe. Aber kaum sagte sie etwas, war es schon wieder vorbei und sie wurde nur angeschrien.
Das war so schrecklich und einfach nicht mehr auszuhalten. Mittlerweile befindet sich Mareike in der Reha. Vor zwei Tagen war Silvester. Sie überlegt sich hin und her, wo ihr Weg hingeht. In ihrem Kopf findet sie Bilder einer eigenen Wohnung. Auf der anderen Seite sieht sie das ihr zur Hälfte gehörendes Haus und den Hund. Sie kann nicht mehr.
Eigentlich wollte sie glücklich sein, das war ihr Vorsatz.


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