Sie dachte nicht in größeren Dimensionen. Sie war ganz bei sich und in ihrer kleinen Welt ganz zufrieden. Alles hatte bei ihr seinen Platz,
wobei jedes Neue sorgfältig eingeordnet und klassifiziert wurde. Ihre Tätigkeit in der Müllverbrennung ließ ein solches Verhalten nicht
vermuten. Zwar sortierten Maschinen die verwertbaren Überreste der Konsumgesellschaft aus, doch sie überwachte nur den ordentlichen
Brand, der den Abfall in Energie verwandelte. Sie hätte schon einige der entsorgten Gegenstände mitnehmen können, doch sie passten nicht
in ihr Schema. Eigentlich hatte sie nichts gegen versehrte Puppen, verbogene Löffel, verschmutzte Bücher oder gebrauchte Kleidung. Das
mangelnde Kriterium bestand in der Tatsache, dass diese Gegenstände bereits ein eigenes Leben gehabt hatten: Sie hatten keinen Bezug zu Daphne.
Die junge Frau sammelte ständig Gegenstände, die eine Verbindung zu ihrem Dasein hatten. Diese hütete sie wie einen Schatz.

Wenn sie abends in ihrer hellen Wohnung saß, ein Glas Wein und gelegentlich eine Zigarette genießend, ihre Katze auf dem Schoß hinter den Ohren kraulend, betrachtete sie ihre Sammlung mit einem Gefühl der Zufriedenheit. Es gab nur kleine Dinge, die entweder in Setzkästen oder ohne erkennbare Ordnung in Regalen, auf Kommoden, Tischen standen, sodass der Blick immer von einem Objekt festgehalten wurde. Jeder Stein, jede Muschel, jedes Stück Papier, alles war mit einer Geschichte verbunden, die ihr unweigerlich in den Sinn kam und deren Einzelheiten sofort präsent waren. Wenn sie die Augen schloss und die Muschelschale streichelte, meinte sie das Meer zu riechen, der Korken ließ die Erinnerung an die Reise in die Champagne lebendig werden und der glatte Stein hatte am Flussufer gelegen, als Charles ihr seine Liebe gestand. Diese Gegenstände hatte einen Vorteil. Sie waren alle positiv besetzt. Unangenehme Erinnerungen hatten keinen Platz im Leben von Daphne.

Aber, was war das? Daphne erschrak, als sie auf den hellen Setzkasten neben der Wohnzimmertür schaute. Das Fach oben links war leer! Das konnte und durfte nicht sein. Gestern noch war darin der kleine Rest des Bleistifts gewesen, den sie zuletzt benutzt hatte, um das Bild ihrer Katze anzufertigen. Damals, als sie noch regelmäßig zeichnete, war der weiche 3B-Stift ihr Lieblingsgerät gewesen. Sie hatte ihn so lange in ihren Malutensilien behalten, bis sie ihn nicht mehr vernünftig halten konnte. Der winzige Rest wanderte in ein Erinnerungsfach. Sie stand abrupt auf, verschüttete dabei einige Tropfen Wein und hörte ein missbilligendes Miauen der Katze, die so plötzlich ihres gemütlichen Plätzchens beraubt wurde. „Ich hatte es doch vor wenigen Tagen in der Hand. Ganz sicher habe ich es zurückgelegt. Oder, doch nicht?“ Daphne sah in den anderen Fächern nach. „Hier nicht. Da kann es nicht sein. Hier auch nicht. Ich werde es doch nicht aus Versehen weggeworfen haben?“ Sie lief in die Küche und leerte den Mülleimer auf dem Tisch aus. Der Inhalt war übersichtlich und daher war schnell klar, dass dies die falsche Spur war. Sie kehrte zum Kasten zurück. „Vielleicht ist es heruntergerollt.“ Sie kniete sich auf den Teppich und ließ ihre Hände darüber gleiten, hob ihn sogar an, um sicher zu sein, dass er sich nicht darunter befand. Nichts. „Mach‘ dich nicht verrückt. Schlafe eine Nacht. Morgen wird es dir wieder einfallen. Ein Bleistift, mag er noch so klein sein, verschwindet nicht einfach so. Du wirst dich erinnern, was du damit gemacht hast.“ Mit diesen Überlegungen trank sie ihr Glas aus und ging ins Bad.

Trotz akribischer Suche blieb der Bleistiftstumpf in den nächsten Tagen weiter unauffindbar. Daphne fand keine Erklärung. Schließlich verdrängte sie die Angelegenheit, wobei sie sich wegen ihrer Unachtsamkeit die größten Vorwürfe machte. Der Alltag kehrte wieder ein und andere Situationen traten in den Vordergrund.

Einige Wochen später kam sie mit ihren Einkaufstaschen vom Einkauf zurück. Ihre Katze erwartete sie schon sehnsüchtig. Sie miaute und strich um ihre Beine in der Erwartung der Fleischpastete, die Daphne ihr manchmal vom Metzger mitbrachte und deren Aroma vom Stubentiger sofort wahrgenommen worden war. Im Nu war die Leckerei verspeist und die Katze hatte ihre Gummimaus vor Daphnes Füße gelegt, so als ob sie sagen wollte: Jetzt spiele mit mir!" Gedankenverloren hob Daphne das Spielgerät auf und warf es immer wieder in eine Ecke, damit die Katze es holen konnte, um es ihr wieder vor die Füße zu legen. „Wie ein Hund. Sie apportiert richtig.“ Daphne lächelte. „Das ist aber jetzt das letzte Mal.“ Sie warf das Gummitier erneut. Der Schwung beförderte das Spielgerät unter den Schrank. Die Katze wollte sich in den schmalen Spalt zwängen, doch dafür war sie zu wohlgenährt. So lang sie sich auch machte und mit ihren Pfoten versuchte, die Maus zu erwischen: Es war vergebens. Sie ließ ein jämmerliches Miauen hören und hörte nicht damit auf. Schließlich holte Daphne den Wischer zum Reinigen der Heizkörperlamellen, kniete sich hin und hangelte nach dem verschwundenen Objekt.

„Da bist du ja! Herrlich! Ich wusste es!“ Von diesem Gefühlsausbruch erschreckt hatte sich die Katze zurückgezogen. Es war auch nicht die Gummimaus in Daphnes rechter Hand, sondern ein kleines Stück Holz mit einem Grafitkern, der sie in diesen euphorischen Zustand versetzte.


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