Wenn er sagt, dass ich nicht kochen kann, hat er bestimmt recht.
Wenn er sagt, dass ich nicht Auto fahren kann, hat er bestimmt recht.
Wenn er sagt, dass ich nicht gut sauber machen kann, hat er bestimmt recht.
Wenn er sagt, dass ich nicht gut Wäsche waschen kann, hat er bestimmt recht.

"Frau Kuhnt? Haben Sie meine Frage gehört?"
Ich hole tief Luft, wappne mich für eine Antwort: "Ja." Piepsige Töne verlassen meinen Mund.
"Können Sie mir eine Antwort darauf geben?"
"Ähm ..." Wie zu Schulzeiten, wenn der Lehrer nach einem Kandidaten für eine mündliche Prüfung suchte, klebe ich meinen Blick am Fußboden fest.
Mist, mein rechter Schuh hat einen braunen Fleck. Wahrscheinlich von der misslungenen Soße, die ich in den Müll geworfen habe. Er hat recht. Ich kann weder für saubere Kleidung sorgen, noch kochen.
"Frau Kuhnt. Ich kann mir gut vorstellen, dass Ihnen eine Antwort auf meine Frage schwerfällt."
"Er sagt immer: Ich kann nichts." Mein Mund hat sich meiner Kontrolle entzogen, spricht das Erstbeste aus, was in meinen Gedanken ist.
"Frau Kuhnt. Ich möchte gern Ihre Meinung hören. Ich habe extra Ihren Mann aus dieser Sitzung geschickt. Was für Fähigkeiten haben Sie? Was glauben Sie, können Sie gut?"
Professionelle, emotionale Kälte umfängt mich. Unpassend zum hübschen, warmen Gesicht der Therapeutin.
Bisher mochte ich sie, hatte das Gefühl, dass sie uns helfen kann, unsere Ehe zu retten.
"Okay. Dann nenne ich Ihnen eine Tätigkeit und Sie schätzen auf einer Skala von 1 bis 10 ein, wie gut Ihnen das gelingt. Zehn ist das höchste. Kochen!"
"Ich bin im Kochen eine Null." Reflexartig schießen Worte aus mir.
"Und nun denken Sie noch einmal länger über das Kochen nach. Ist es wirklich so, dass es sie es nicht können? Also nicht mal im Ansatz."
"Ja." Ein Hauch von meiner Stimme schwebt im Raum umher.
Die Therapeutin überschlägt ihre Beine. Mit ihrem Bleistiftrock wirkt sie elegant, sportlich und schlank. Attribute, die nie auf mich zutreffen werden.
"Dann erinnern Sie sich bitte an unsere erste Sitzung. Zu dieser haben Sie mir Kürbismuffins mitgebracht, die so lecker waren, dass ich Sie nach dem Rezept gefragt habe."
"Thomas meinte, das wäre nur Ihre Therapeutenshow gewesen. Dass Sie so einen Kram sagen müssen, damit wir eine Chance haben unsere Ehe zu retten." Wieso habe ich das gesagt? Wie macht sie das? Wenn Thomas hier wäre, hätte ich mich bestimmt zurückhalten können.
"Therapeutenshow?" Hochgezogene Augenbrauen, die mir zeigen, dass dies eine rhetorische Frage sein muss.
Als Antwort zucke ich mit meinen Schultern.
"Wollen Sie wirklich an dieser Ehe festhalten?"
"Ich habe doch sonst niemanden. Wer sollte denn jemanden wie mich nehmen?"
"Hm ... Ich bin überzeugt, dass es außerhalb Ihrer Ehe Menschen gibt, die Sie attraktiv finden und die eine oder Fähigkeit, die Sie haben, zu schätzen wissen."
Fast hätte ich laut aufgelacht. Ähnlich wie Thomas, der gelacht hat, wenn ich mich mit einer Freundin treffen wollte. Immer sagte er, dass sie nur mit mir befreundet sind, weil sie den Kontakt zu ihm wollten. Sich über mich an ihn ran machen wollten. Und dass ich das nicht zulassen könnte.
Natürlich wollte ich ihn nicht in die Arme einer anderen Frau treiben. Also habe ich alle Freundschaften beendet.
"Ich habe niemanden mehr."
"Was hat er Ihnen gesagt, dass Sie alle Freundschaften beendet haben?"
"Wie kommen Sie darauf?" Langsam wird mir diese Therapeutin unheimlich. Woher kann sie wissen, dass ich keinen Kontakt mehr habe?
"Ihre Körpersprache, Ihr Verhalten, wenn er in der Nähe ist oder nicht, verraten mir einiges. Darauf baue ich meine Annahmen auf und äußere sie, damit ich Ihre
Meinung dazu erfahren kann."
"Wissen Sie ... also ... Thomas hat gesagt, es ist besser, dass wir hier herkommen. Also ... weil ... Sie mir dann helfen könnten. Sie würden mir dann eine Diagnose sagen, weshalb ich so vieles in meinem Leben falsch mache. Dann bekäme ich Tabletten und würde schließlich besser funktionieren. Endlich mal etwas hinbekommen."
"Hat er Sie gezwungen, zur Eheberatung mitzukommen?"
"Nein ... oder ... na ja ... nein." Die stahlblauen Augen der Therapeutin, die sich mit ihren braunen Locken beißen, zwingen mich den Blick zu senken.
"Frau Kuhnt?"
Aus Angst, etwas Falsches zu sagen, presse ich meine Lippen fest aufeinander.
Polternd öffnet sich die Tür: "So, jetzt habe ich Ihnen sogar zwei volle Kaffeetassen gegönnt. Jetzt darf ich wieder dabei sein."
"Gut, Herr Kuhnt. Ich sprach gerade mit Ihrer Frau über Ihre Motivation zur Therapie zu kommen."
"Aha ... Ja, dafür musste ich Sie etwas ermuntern. Schließlich liegt es an uns beiden, dass etwas nicht stimmt."
Breitbeinig platziert sich Thomas in dem senfgelben Sessel neben mir.
Thomas Gesicht wirkt hart und angespannt. Über die Ehejahre haben sich Falten eingeschlichen. Makel, die er mir zu schreibt. Denn wer mit einer solchen unfähigen Frau lebt, kann nur davon gezeichnet sein.
Mir huscht ein Seufzer heraus. Schnell starre ich die Wand an, versuche mich von dieser Peinlichkeit abzulenken.
Wenn er sagt, ich sei schuld, dass wir unsere Raten nicht zahlen können, hat er bestimmt recht.
Wenn er sagt, ich sei schuld, dass unser Sohn schlechte Noten schreibt, hat er bestimmt recht.
Wenn er sagt, ich sei schuld, dass unsere Tochter klaut, hat er bestimmt recht.
Wenn er sagt, ich sei schuld, dass der Sex bei uns nicht mehr stimmt, hat er bestimmt recht.

"Herr Kuhnt, ich erlebe Ihre Frau ganz anders. Auf mich wirkt sie selbstlos."
"Pah. Das ist ihr ganzes Getue. Sie spielt den Menschen etwas vor. Das sollten Sie eigentlich erkennen. Dafür bezahle ich Sie doch!" Spucke fliegt umher.
"Als ich eben mit Ihrer Frau alleine gesprochen habe, hatte ich eine komplett andere Wahrnehmung. Sie ist stark zurückgezogen und scheint sich Ihrer eigenen Bedürfnisse kaum bewusst zu sein."
"Was sind Sie für ein unfähiges Weib! Sie Niete. Ich werde Ihnen eine schlechte Bewertung bei Google hinterlassen. Dann kommt niemand mehr zu Ihnen. Das wird Sie ruinieren!" Thomas springt auf, ergreift meine Hand und zieht daran.
"Herr Kuhnt, bitte lassen Sie Ihre Frau selbst entscheiden, ob sie hier bleiben möchte." Kritisch blicken stahlblaue Augen von mir zu meinem Mann und wieder zurück. Mir wird das zu viel, sodass ich meinen Blick auf eine Fotogartenlandschaft an der Wand hefte.
"Ach die! Das müssten Sie längst gemerkt haben, dass die ohne mich nichts kann. Zum Glück kann die alleine atmen. Sie dusslige Kuh! Sie müssten längst sehen, wie die ist. Dass die in die Geschlossene gehört!"
Das Zerren an meiner Hand überträgt sich auf meinen Arm und wird zu einem Reißen an meiner Schulter. Trotzdem bleibe ich sitzen.
"Thomas kriegt keinen mehr hoch ...!"


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