"Bist du wieder im Garten", rief er blind zum weit geöffneten Fenster hinaus, "Liebes?"
"Weißt du doch", lächelte sie in ihrer heftigen Art zurück, "weil doch die Bäume ausschlagen und der Kohl schießt."
Sie liebte dieses ungebremst Aggressive aufs Höchste, dies ungefiltert, wenn auch nicht unkanalisiert, Eruptive, Explosive und noch Schlimmere.
Schaute auf die wild gewucherten Schößlinge, die gerade aufplatzenden Knospen, atmete dies mächtig Gewaltgeladene tief in sich ein.
Spürte es kräftig in sich beben, pure, pralle Vitalitätsgeilheit, das schiere strotzende Leben in allen Adern, diesen enormen Schub.
Er hatte viel von ihr, sie war ihm Jugend, Jungbrunnen, Nachholen auf Teufel komm raus von so Vielem. Verpasstem. Verspätet. Fast, fast schon zu sehr.
Wiewohl sie Aggressivität nicht groß wertschätzen konnte, ja gradezu als Schwäche verurteilte, als mangelnde Herrschaft über energiegeballtes Tosen verachtete, so sehr liebte sie Aggression. Wenn Löwenzahn unversehrt durch Beton stieß. Oder der Krokus glatt durch noch tiefgefrorenen Boden. Mal ganz zu schweigen von dieser mikroskopisch exakt austarierten Urkraft der Bäume, wenn ihre Wurzeln ganze Bänke umzuwerfen vermochten im Park. Oder ihr geliebter Pfeilwurz ein komplettes Haus einkrachen lassen konnte, verschlug es ein Samenkorn unentdeckt in eine Kellerritze. Ihr unüberbietbarer Favorit, dem man beim Ernten nur mit schweren Steinbohrern beikommen konnte.
Was sollte sie mit einem einzelnen Mann? Nicht einer, bei dem sie nicht fremdgegangen wäre, wenngleich sie keinen einzigen betrogen, sondern ganz im Gegenteil, aufs Empathischste beachtet hatte. In den tiefsten, heimlichen Vorlieben. Wie sich selbst auch.
Ihr Freund in Studententagen zum Beispiel:
"Nur einen", hatte er am Telefon gesagt, als sie ihm juchzend von der Wohnheimparty und den beiden Juristen berichtete. Das galt fürs gesamte Auslandssemester. Wo sie normalerweise eher das Doppelpack nahm. Aber da war er sensibel. Gegönnt. Natürlich! Sie war ja verrückt nach ihm.
Oder ihr erster Mann:
"Ja, aber nicht in unserem Bett." Er hatte seine empfindliche Grenze just da.
Er jetzt hatte die nur vor allen anderen. Nachbarn, Bekannten, potenziellen Rufschädigern. Hatte sich von Anfang an seinen Bannkreis ausbedungen. Galane "mindestens 60 Kilometer" weit weg. Geschenkt, klar. Sie liebte es, ihn zu lieben.
Zu ihrem Krankenbett waren sie alle gekommen, jeder mit ihren verschiedenen Lieblingsblumen. Die fettesten zartrosa Pfingstrosen, eigenhändig gepflückte Duftveilchen, rasant bunter Tulpenmix, Hyazinthen, Amaryllis, Kätzchen ... Und all das, was in einem Krankenzimmer nicht erlaubt war, Vanilleblume oder üppige, überbordende Medinella. Neben majestätischen, betörenden Casablanca-Lilien.
"Er muss sie sehr lieben", sagte die Nachtschwester und deutete strahlend auf die so überreich blühende Pracht um sie allher.
Ja konnte sie nicht direkt sagen, als sie es, getroffen, aus ihrem Alltertiefsten tonlos hervorlächelnd, überdeutlich vernahm: brachial drängende Tränen, die aus glückstrunken, geschlossenen Augen quellen ...