Klaus – wir wollen ihn der Einfachheit halber so nennen – wartete auf den richtigen Augenblick. Er war klein, ziemlich dick und trug eine Brille mit starken Gläsern. Ein Walrossschnauzer, der bereits bei seiner Geburt aus der Mode gewesen war, dominierte sein Gesicht. Rote Haare und blasse Haut legten die Vermutung nahe, dass er Sonnenmilch mit hohem Schutzfaktor auftragen musste, bevor er den Rasen mähte. Seine Arme und Beine wirkten zu kurz für den dicken Rumpf, die Hände waren klein und quadratisch.
Klaus beobachtete aufmerksam die anderen Personen im Fitnessstudio. Ein Bodybuilder fiel ihm dabei besonders ins Auge. Dieser war einen Meter fünfundachtzig groß und von ausgesprochen kräftiger Statur. Seine drahtigen grauen Haare waren so kurz geschnitten, dass an manchen Stellen die Kopfhaut hindurchschimmerte. Die scharfen Gesichtszüge, wie aus Granit gemeißelt, wirkten nicht unsympathisch. Sein Stiernacken, die breiten Schultern und der enorme Brustkorb verliehen ihm das Aussehen eines Schwergewichtlers. Der Mann hatte gerade im Liegen eine Langhantel mit schweren runden Gewichten an beiden Seiten mehrmals nach oben gedrückt, wuchtete die Stange auf die Ablage und setzte sich auf, um zu regenerieren. Dabei fiel sein Blick auf Klaus.
Der richtige Moment war gekommen. Klaus holte einen Inhalator aus seiner Trainingstasche und nahm einige tiefe Atemzüge. Dann ging er in eine offensichtlich neugestaltete Trainingsecke, in der eine weitere Langhantel mit Gewichten auf dem Boden lag. Der Bodybuilder beobachtete ihn mit einem spöttischen Lächeln. Klaus absolvierte halbherzige Aufwärmübungen, dann stellte er sich vor die Langhantel, packte die Stange mit beiden Händen, zog sie nach oben, ging mit ihr in die Hocke und verharrte so einen Moment. Auf der Stirn des Muskelmannes bildeten sich Furchen. Klaus atmete ein, dann drückte er die Knie durch, riss das Gewicht nach oben und hielt die Hantel scheinbar mühelos einige Sekunden über seinen Kopf. Schließlich ließ er das Metall wieder auf den Ausgangspunkt fallen.
Der Beobachter war inzwischen aufgestanden und zu Klaus geschlendert. Mit interessiertem Blick betrachtete er die beiden Gewichte an der Hantel, die im Gegensatz zu den anderen fünfeckig waren. Die Gewichtsangabe stand in großen Zahlen darauf.
„Respekt“, zollte er Klaus seine Anerkennung.
„Danke, war aber nur zum Aufwärmen.“
Der Mann schüttelte ungläubig den Kopf. „Darf ich?“
„Na klar, nur zu.“ Klaus setzte sich auf eine Trainingsbank.
Selbstbewusst stellte sich nun der Bodybuilder vor die Langhantel, platzierte seine kräftigen Hände auf beiden Seiten, spannte die Muskeln an, versuchte, das Gewicht nach oben zu reißen … aber es bewegte sich nicht. Fast wäre er auf dem Hosenboden gelandet, konnte sich aber gerade noch abfangen. Pikiert schielte er zu Klaus, der ließ sich jedoch nichts anmerken. Entschlossen versuchte es der Muskelmann noch einmal mit brachialer Power … und noch einmal – vergeblich. Mit hochrotem Kopf starrte er auf das verflixte Trainingsgerät. „Sind die Gewichte etwa mit Klebstoff am Boden festgemacht?“
Klaus – mehr als einen Kopf kleiner – stellte sich neben ihn und tätschelte ihm den Oberarm. „Mach dir nichts draus, jeder hat mal einen schlechten Tag.“ Beschwingt trat er wieder an das Gerät und hob die Hantel scheinbar mühelos mehrmals in die Höhe.
Mit leerem Blick und hängenden Schultern stand der Bodybuilder da und schüttelte pausenlos den Kopf.
„Nimm’s mit Humor“, begann ‚Klaus‘, „Magnete sind halt doch stärker als die dicksten Muskeln.“ Dann entfernte er den künstlichen Walrossbart aus dem Gesicht und das bauchvortäuschende Kissen unter seinem Shirt. „Die Zuschauer von »Versteckte Kamera« werden sich köstlich amüsieren.“
Die Gesichtszüge des Hereingelegten entgleisten, bald begann er aber schallend zu lachen und umarmte ‚Klaus‘ so innig, dass der fast keine Luft mehr bekam.


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