Gespannt wartete er in absoluter Dunkelheit. Endlich deutete sich am Horizont mit kräftiger Rötung ein neuer Tag an. Die schräg einfallenden Strahlen der Morgensonne, die so behäbig aufstieg, als müsste sie erst die Schwerkraft überwinden, fluteten den weiten, vegetationslosen Talgrund mit ihrem Licht. Einzig die Schatten der zahllosen Felsbrocken bewegten sich langsam aber stetig. Schnell wandte sich der Beobachter ab.

Im nächsten Habitat war alles voller mannigfaltigem Leben. Taufeuchte Farne erhoben sich aus einem von abgestorbenen Pflanzenteilen bedeckten Boden. Neben palmenähnlichen Gewächsen reckten sich erhabene Bäume mit überlappenden, elefantenohrengroßen Blättern dem senkrecht einfallenden Sonnenlicht entgegen, das kaum bis auf den Grund durchdringen konnte. Über den Baumwipfeln kreisten pelikanähnliche Tiere mithilfe ihrer von skelettartigen Armen getragenen Flügeln. Der Beobachter folgte einem jungen Bullen, der diese Wildnis durchstreifte. Mit seinen vier stämmigen Beinen, die in dreizehige Hufe mündeten und dem kurzen Rüssel bahnte der sich einen Weg durch die üppige Vegetation auf der Suche nach Nahrung. Unter einem hochgewachsenen Baum hielt er inne und fixierte schnaubend die saftigen, ananasgroßen Früchte, die außerhalb seiner Reichweite an den kräftigen Ästen hingen. Speichel tropfte ihm von den Mundwinkeln. Langsam zog sich der Bulle rückwärts ins Unterholz zurück, verharrte kurz und preschte mit vollem Tempo voran, um den massiven Körper wie einen Rammbock gegen den Stamm zu werfen. Eine Gruppe aufgeschreckter Vögel flatterte davon. Er wiederholte diese Prozedur einige Male, bevor er sich gierig über die herabgefallenen Früchte hermachte. Er schmatzte dabei so laut, dass er das ungewöhnliche Geräusch zuerst nicht wahrnahm. Ein Summen erfüllte die Luft, während sich der Himmel verdunkelte. Das fressende Tier sah auf, hob witternd den Rüssel und spitze die Ohren. Die Baumwipfel begannen zu knistern, als unzählige kleine Flügel daran vorbeirauschten. Der Bulle riss den Kopf nach oben, ließ seine Beute aus dem Maul fallen und verdrehte die Augen. Aus dem Blätterdach stießen abertausende faustgroße Insekten herab und sammelten sich über ihm. Ein markerschütterndes Trompeten ausstoßend preschte er davon und verschwand im Unterholz. Die Wolke aus fliegenden Jägern folgte ihm in kurzer Entfernung. Ständig den Kopf schüttelnd erreichte er eine Lichtung und versuchte, auf dem übersichtlicheren Gelände schneller voranzukommen. Der Schwarm schien nur auf diese Gelegenheit gewartet zu haben. Ohne den Flüchtenden dabei zu berühren, umschwirrten die stachellosen Verfolger seinen Kopf und bombadierten ihn mit elektromagnetischen Impulsen, bis seine Synapsen keine Befehle mehr an den Körper abgeben konnten. Die Beine versagten den Dienst, der Bulle überschlug sich mehrmals und blieb schließlich unkontrolliert zuckend liegen. Sofort stürzten sich die Angreifer auf ihr Opfer, um mit ihren kräftigen Kauwerkzeugen das Festmahl zu beginnen. Innerhalb kürzester Zeit war von dem einstmals mächtigen Tierkörper nur noch das Skelett übrig.
Fasziniert von dem bizarren Schauspiel wandte sich der Beobachter dem nächsten Biotop zu.

Ein Weg aus Trittsteinplatten schlängelte sich an Farnen und Ziergräsern in verschiedenen Grüntönen, Azaleen, Pfingstrosen und Schwertlilien vorbei. Auf den akribisch angelegten Hügeln buhlten Bonsais, steinerne Laternen und ein kleiner Pavillon um Aufmerksamkeit. Den Mittelpunkt des Gartens bildete ein Teich mit geschwungenen Uferlinien, an denen Funkien und Prachtspieren wuchsen. Die schräg einfallenden Strahlen der Abendsonne ließen das Wasser wie Diamanten funkeln. Ein Vogel hing starr wie ein in Bernstein eingebettetes Insekt am Firmament. Langsam legte der Himmel sein Abendkleid an. Zwei Monde waren wie an den Himmel genäht, Wolken drumherum gestickt.

„Programm beenden!“, befahl Nosztack dem Bordcomputer und schüttelte die Flügel aus. Die holografische Projektion verschwand und die tristen Wände des Simulationsraumes kamen zum Vorschein. Mit zitternden Mandiblen dachte er an seine Heimatwelt, die vor langer Zeit unbewohnbar geworden war. Nosztack hatte das große Glück gehabt, ausgewählt zu werden, um an Bord eines Langstreckenraumschiffs zu einem Planeten zu reisen, auf dem eine neue Heimat gestaltet werden sollte. Auf seinen drei Beinpaaren krabbelte er zum Ausgang. „Jetzt kenne ich alle uns bekannten Welten. Ich werde darüber nachdenken und dir meine Auswahl mitteilen, bevor ich mich wieder in meine Box begebe.“

„Danke. Sobald wir bei dem Zielplaneten angekommen sind, werde ich mit der Atmosphärenumwandlung beginnen. Bis die Umwelt dann der Abstimmung aller Mitreisenden entsprechend gestaltet und für deine Spezies bewohnbar ist, wird Zeit vergehen, die mehreren tausend Jahren auf euerem ehemaligen Heimatplaneten entspricht. Ich wünsche einen angenehmen Tiefschlaf.“

Das aus einer gigantischen Metallkonstruktion bestehende Raumschiff maß an seiner längsten Stelle über fünfhundert Meter. An dem monumentalen Trägergerüst waren Module unterschiedlicher Größe und Form angebracht, die Platz für Passagiere und Ausrüstung boten. Diesem Schwertransporter fehlte jegliche Eleganz und Aerodynamik, denn er war im Weltraum zusammengebaut worden und würde niemals in die Atmosphäre eines Planeten eintauchen. Zum Erreichen der Planetenoberfläche gab es an Bord zahlreiche Landungsboote. Diese Shuttles waren, im Gegensatz zum schwerfälligen Mutterschiff, das sich vorwiegend auf einer ballistischen Flugbahn bewegte und lediglich kleine und langsame Kurskorrekturen vornehmen konnte, wendiger und unmittelbarer zu steuern.

Nosztack trat an ein Terminal, gab seinen persönlichen Code X2438-A-49 ein und übermittelte seine Entscheidung. Dann begab er sich zu der Box, in der er den Rest der Reise verbringen würde. Vor seinem inneren Auge tauchte das Habitat der dschungelartigen Wildnis mit den räuberischen Insekten noch einmal auf, bevor er zufrieden in den Schlaf glitt.


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