Mein Körper ist schlank, mein Kopf lang. Zur Freude aller muss ich brennen. Meist sind es die Väter, die mich anzünden. Sehr zum Staunen ihrer Kinder und mancher Ehefrau. Bunte Farben soll ich versprühen. Laut knallend meine ganze Pracht zeigen. Ich bin gespannt, wie es sein wird. Ob mich jemand mit "Ah" und "Oh" bewundert.

Aber dafür müssen sie mich auswählen.
Ich hoffe, dass bis 14 Uhr endlich jemand nach mir greift und mich mit nimmt.
Gespannt sehe ich jeden einzelnen Kunden an. Aber die meisten gehen an der Metallbox , in der ich liege, vorbei. Wahrscheinlich sind sie gut ausgerüstet. Haben sich für andere entschieden.
"Papa! Ich möchte noch die!" Endlich bekomme ich Aufmerksamkeit.
Prüfend widmet sich mir der Papa. Was ist seine Absicht? Sucht er nach einem Grund, weshalb er mich nicht haben möchte oder überlegt er, ob ich wirklich die richtige bin?
"Hm... eigentlich haben wir schon genug." Lautet sein vages Urteil.
"Ach komm schon Paps!"
"Wir haben genug." Oh oh, das könnte einen Machtkampf auslösen.
"Na gut. Dann bezahle ich sie mit meinem Taschengeld." Wahnsinn! Das kleine Kerlchen ist gewitzt.
Tief atmend sieht der Vater nach links und rechts. Dann schüttelt er seinen Kopf, verdreht seine Augen und nickt.
Laut jubelnd greift der Sohn nach mir. Hätte ich eine Stimme, würde ich mitjubeln.
„Ich nehm noch ein paar Böller, Paps“ Ein zweiter, wesentlich älterer Junge schiebt sich an seinem jüngeren Bruder vorbei. Er schnappt sich vier große Böllerpakete. Vom Paps kein Kommentar.
Nach dem Bezahlen lande ich im Kofferraum. Eigentlich wollte mich der Jüngere mit in die Fahrerkabine nehmen, aber das war seinem Dad zu unsicher. Was ich will, spielt für den Papa keine Rolle. Liebend gern würde ich neben dem Kind sitzen. Er dürfte mich sogar die gesamte Fahrt in seinen Händen halten. Ehrlich, freuen würde es mich.
Na gut, mache ich es mir zwischen einem Blumenkohl und einer Packung Mehl gemütlich. Hoffentlich dauert die Fahrt nicht lang. Ehrlich gesagt, der Kohl müffelt.
Zu Hause angekommen, werde ich vom Junior persönlich mitgenommen. Das Haus lerne ich kaum kennen, der Junge geht mit mir in den Keller. Immerhin ist es hier trocken und hell, ohne Kohlgemüffel. Dank eines breiten Fensters kann ich die intensive Wintersonne nutzen, um mich umzusehen. In diesem Kellerraum warten Konserven neben Unmengen von Wasserflaschen auf ihren Tag der Leerung.
Außer mir liegen sieben Batterien, fünf Raketensets und unzähliger Kleinkram zum Anzünden in Kisten auf dem Regal. Eine besonders große Kiste enthält nichts als Böller. Offenbar mag hier jemand Krach.
Stunde um Stunde verbringe ich in dem Keller. Schließlich dämmert es. Die Erlösung kommt kurz vor 0.00 Uhr. Vater und Söhne schnappen sich die vielen Kisten voll Feuerwerkskörper. Mittendrin liege ich.
Und dann geht es los. Im Wechsel werden Batterien, Raketen und Böller angezündet.
Mit jedem Griff in meine Richtung steigt meine Spannung.
Irgendwann greift mich der Sohn: "Du solltest doch im Keller bleiben."
Was!? Wieso ich? Ich will auch nach oben. Tu mir das bitte nicht an. Soll ich etwa bis nächstes Jahr warten? Könnt ihr nicht machen!. Was ist, wenn ich dann nass geworden bin? Leute, ich muss mit den anderen in die Luft. Es ist mein Job, Teil des Neujahrsgrußes zu werden.

Tag für Tag warte ich im Keller. Als sitze ich eine Strafe ab. Was habe ich verbrochen, dass ich von Silvester ausgeschlossen werde? Hätte ich Tränenkanäle, würde ich heulen.
Aber das interessiert niemanden. Denn es gibt keine anderen Raketen mehr im Keller. Lediglich ein paar Böller, die der ältere Bruder noch braucht.

"Jetzt ist dein großer Tag gekommen." Der Junge nimmt mich aus dem Regal. Die Dämmerung ist fortgeschritten, es ist fast Nacht. Wenn ich mich nicht irre, haben wir April.
Dass mich der Sohn zu diesem Zeitpunkt holt, verwirrt mich.
Draußen im Garten stehen viele Jugendliche und die Familie des Jungen.
Mit ein bisschen Fummelei steckt mich der Sohn in eine Flasche, hält ein Feuerzeug an meine Schnur und geht ein großes Stück zur Seite.
Alle Kids jubeln laut und rufen im Chor: "Herzlichen Glückwunsch zum 14. Geburtstag."
Jeder hebt ein Glas hoch.
Dann sieht der Sechzehnjährige zu mir: "Bring meine Wünsche für mein neues Lebensjahr schön weit hoch."
Von allen unbemerkt grinse und nicke ich.
Es geht es los. Meine Zündschnur knistert und zischt. Sirrend steige ich auf. Nach etwa 50 Höhenmetern kommt mein großer Auftritt. Mit einem lauten Knall lasse ich Funken sprühen. Gold besprenkelt den Himmel.
Der kleine Wunschzettel geht in Rauch auf. Ich habe meine Sondermission erfüllt, lasse mich hohl und leer zu Boden fallen.

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