Ich habe einen Freund.
Einen guten Freund.
Einen wahren Freund, um genau zu sein.
Jemand, der immer für mich da ist.
Wer kann das schon von sich behaupten.
Wahre Freunde sind selten.
Wir lernen in unserem Leben viele Menschen kennen.
Pflegen freundschaftliche Beziehungen mit ihnen.
Und halten sie für wahre Freunde.
Bis etwas passiert, bei dem wir einen solchen Freund bräuchten.
Dann wird uns bewusst, dass wir uns getäuscht haben.
Wahre Freunde sind selten.
Ich habe einen.
Als Kind war ich ein Außenseiter.
Bis ich ihn kennen lernte.
Wir trafen uns häufig.
Er vermittelte mir das Gefühl von Geborgenheit.
Von Unbeugsamkeit und Männerfreiheit.
Ich war fünfzehn.
Pubertät im Endstadium.
Viele Bekanntschaften.
Nichts Ernstes.
Dann trat Maria in mein Leben.
Sie mochte ihn nicht.
Er hätte einen schlechten Einfluss auf mich.
Sie würde sich nie mit diesem falschen Freund einlassen.
In ihrer Gegenwart fühlte sich seine Anwesenheit nicht richtig an.
Die Treffen mit meinem Freund wurden seltener.
Dann wurde Maria schwanger.
Das entfremdete mich völlig von ihm.
So trennten sich unsere Wege.
Meine neue Familie beanspruchte mich voll und ganz.
Ich war glücklich.
Bis Probleme auftauchten.
Erst in Kleinigkeiten.
Dann grundsätzlicher Art.
Mein Freund kam mir wieder ins Gedächtnis.
Könnte er mir in dieser Situation helfen?
Mir zuhören und mich beruhigen?
Meinen Blick auf das Wesentliche richten?
Oder mich einfach nur für kurze Zeit ablenken?
Ich widerstand dem Drang, ihn zu kontaktieren.
Wollte meine Ehe retten.
Die Familie nicht verlieren.
Aber es wurde schlimmer.
Maria verließ mich und nahm die Kinder mit.
Endgültig.
Ich verlor den Halt.
Zeit für einen wahren Freund.
Wir hatten lange keinen Kontakt.
Obwohl er immer und überall erreichbar gewesen wäre.
Heute brauche ich ihn.
Wie nie zuvor.
Er ist da, im Supermarkt gleich um die Ecke.
Ohne den geringsten Widerstand kommt er mit zu mir.
Glücklich betrachte ich die volle Flasche.
Er hat sich nicht verändert.
Bietet mir seine Hilfe an.
Selbstlos wie immer.
Die Eiswürfel klimpern.
Ich schenke ihn ein.
Proste ihm zu.
Ein kurzes Zögern.
Dann führe ich das volle Glas an die Lippen.
Trinke ihn in einem Zug.
Und schließe die Augen.
Er tut mir gut.
Wie sehr habe ich ihn vermisst.
Ich bin nicht mehr allein.
Werde es nie mehr sein.
Wahre Freunde sind selten.
Ich habe einen.