Wärme umhüllt mich. Den ganzen Sommer schon. Bringt mich zum Schwitzen und nicht nur mich. Auch alle um mich herum. Eine Qual für meine Nase. Jedes einzelne Schweißgeruch-Atom steigert meine Übelkeit.
„Wollen Sie etwas gegen die Schmerzen?“, besorgt sieht mich die junge Frau vor mir an.
Vor Schmerz stöhnend, nicke ich.
Kurz darauf spüre ich eine kühle Flüssigkeit in meinen Arm laufen.
Zunächst macht sich Entspannung breit. Mein tobender Unterleib kommt etwas zur Ruhe.
Dann nehme ich Schweißgeruch wahr. Sofort wird mir übel.
Am liebsten würde ich jetzt jeden aus dem Raum schicken. Aber das geht nicht. Ich brauche sie alle hier. Sie müssen mir helfen. Wie soll ich sonst mein Baby auf die Welt bringen können?
„Ich will meinen Mann hier haben!“ Unangenehm verhallt meine Stimme im Raum.
„Sabine! Du musst dich auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Dein Kind braucht dich.“ Dumpf kommt eine Erinnerung in mir auf. Der Name der jungen Frau ist Rita. Sie ist meine Hebamme und hatte mir vorhin das „Du“ angeboten.
Es fällt mir schwer, im geforderten“ Hier und Jetzt“ zu bleiben. Sämtliche Hormone, die ein Geburtsvorgang bieten kann, vernebeln immer wieder kurzzeitig meine Wahrnehmung.
„Aber ich schaffe das nicht ohne ihn!“ Wie gern würde ich seine Hand nun halten. Er wird ja schließlich Vater.
„Wir sind für dich da. Gemeinsam schaffen wir das.“ Warum wirkt Rita tadelnd auf mich?
Eine heftige Schmerzwelle erfasst mich. Sie zerreißt förmlich den unteren Teil meines Leibes. Die Wirkung des Schmerzmittels habe ich mir anders vorgestellt.
„Ich will aber nicht! Es ist zu früh!“
„Ja, das ist es, aber es passiert trotzdem. Das wirst du akzeptieren und deinem Baby auf die Welt helfen!“ Ich komme mir vor wie ein kleines Mädchen, das von seiner überstrengen Englischlehrerin zurechtgewiesen wird.
„Nein! Nein! Nein!“ Jedes einzelne Wort ist ein Mix aus Wimmern und Kreischen.
Was auch immer meine Hebamme darauf sagt, ich nehme es nicht wahr. Kurzzeitig verlassen mich mein Seh- und Hörvermögen.
Erneut überfallen mich reißende Schmerzen.
„Wie lange soll der Mist hier noch gehen!? Fuck! Fuck! Fuck!“ Worte, die ich nicht einmal geplant habe, verlassen meinen Mund.
Tief atmend versuche ich, die Wehenschmerzen zu bewältigen. Minute um Minute vergeht schmerzhaft.
Unerwarteterweise bekomme ich eine Pause. Ich habe schon mehrfach von dieser Art Wehenpause gehört, eine Chance Kräfte zu sammeln. Und um im Kopf wieder klar zu werden, wie sie mir eine gute Freundin beschrieben hat.
Bei dem was ich gerade erlebe, ist es tatsächlich eine Erholung. Selbst meine Wahrnehmung kehrt in vollem Umfang zurück.
„Boah, wird’s grad wärmer?“ Schweißtropfen laufen über meine Stirn.
Rita nickt leidlich. „Unsere Klimaanlage hat vor zehn Minuten den Geist aufgegeben.“
„Nee, oder?“ Mein Stöhnen ist diesmal nicht von einer Wehe eingeleitet, sondern der Tatsache, dass mehr Wärme mehr Schweiß und mehr Duftatome ergibt.
Allein der Gedanke an schwitzende Menschen lässt mich wieder würgen.
Elegant hält mir Rita eine Nierenschüssel hin. Alles was ich gestern Abend aß, landet teils verdaut in der Schüssel.
„Ich stell mich ziemlich an.“ Zaghaft sehe ich meine Geburtshelferin an.
„Es ist alles in Ordnung. Du machst das zum ersten Mal und unter besonderen Umständen.“ Rita blickt tief in meine Augen. Ihre wunderschöne grüne Iris erdet mich.
„Hört das jetzt bei mir auf?“ Ein Sonnenstrahl erfüllt den Raum, die Sonne geht auf.
„Eher nicht. Es wird ziemlich sicher weiter gehen. Dein Muttermund ist schon zu weit geöffnet. Trink etwas.“
Ich genehmige mir einen kleinen Schluck Wasser. Anschließend untersucht mich die Ärztin, die bisher im Hintergrund auf ihren Einsatz gewartet hat. Durch ihr Näherkommen, kann ich ihre übermäßige Körperwärme spüren. Ihre Wärme greift auf mich über, wandert in meinen Unterleib. Erhitzt jede einzelne Körperzelle.
Wieder einmal muss ich würgen. Zu viel Schweißgeruch.
„Whoooooaaaaahhh, es geht weiter.“ Noch nie habe ich solch ein Kreischen von mir gegeben.
Erneut versinke ich in Wehenschmerzen und Hormonausschüttungen. Mein Zeitgefühl geht flöten.
Irgendwann erhalte ich den Auftrag zu pressen.
Ohne zu wissen, wie dieses „Pressen“ eigentlich geht, spanne ich sämtliche Muskeln in meinem Unterleib an.
Nach unendlich vielen Momenten höre ich einen lauten Schrei und der Druck auf meinen Körper lässt nach. Leere bleibt zurück.
„Es ist ein Mädchen! Ich zeige sie dir kurz, dann muss sie zum Arzt.“ Irrsinnig schnell kommt Rita mit meiner Tochter auf dem Arm an meine Seite.
„He, meine Kleine! Du bist sechs Wochen zu früh. Und ich bin deine Mama.“ Tränen schütteln mich durch.
Rita übergibt mein Kind einem Arzt. Er wird sich ihre gesundheitliche Situation genau ansehen. Dafür bringt er sie aus dem Raum.
Zugleich untersucht mich die Gynäkologin, kümmert sich um die Nachgeburt und beginnt mich zu nähen.
„Brauchst du etwas Ruhe? Sollen wir dich kurz allein lassen, bis deine Tochter wieder zu dir kommt?“ In Ritas Stimme schwingt Unsicherheit mit.
Tränenüberströmt nicke ich.
Nachdem die Ärztin das Nähen beendet hat, verlassen alle den Raum. Nehmen den Schweißgeruch und ihre Körperwärme mit.
Ich bleibe in Einsamkeit zurück. Es fühlt sich schrecklich an. Denn mich erfasst wieder der Gedanke an die Abwesenheit meines Mannes. Zu gern hätte ich diesen Moment mit ihm erlebt, aber das Schicksal hatte einen anderen Plan. Gestern früh verstarb er bei einem Autounfall. Als ich davon erfuhr, erfasste mich zunächst Stumpfheit. Später kamen die ersten Wehen.
Und nun habe ich nicht nur die Leere um mich herum, sondern auch in mir.
Laut weinend verbringe ich die nächsten Augenblicke.
Die Tür öffnet sich, ein Arzt und eine Kinderkrankenschwester schieben einen kleinen Kasten aus Plastik herein.
Ein Tadel erfüllt meine Gedanken „Wie konnte ich das nur vergessen?!“.
Natürlich bin ich nicht allein. Ich habe eine Tochter.
Hach, wie hätte sich Julian, über die Überraschung ein Mädchen zu haben, gefreut...


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