„Hier ist er!“. Stolz wies Achim auf den Rechner, den er gerade angeschlossen und für
den Betrieb vorbereitet hatte. „Das soll nun meine Schreibmaschine ersetzen? Die treue,
mechanische Begleiterin in all‘ den Jahren?“. Manfred-Michael schaute zweifelnd auf die
mattschwarze Erscheinung neben einem Monitor, einer Tastatur und einer Maus. „Das wirst
du mir erklären müssen, mein Sohn. Aber eins sage ich dir, wenn es zu kompliziert wird, werde ich meine alte Arabella wieder beleben“. „Es ist ganz einfach und viel bequemer als das ewige Einziehen einer neuen Seite, wenn du mit der vorigen fertig bist. Du kannst kontinuierlich schreiben und erst einen Ausdruck erstellen, wenn du deinen Roman
abgeschlossen hast. Du sparst Zeit und Papier. Ein Beitrag für die Umwelt!“. „Nun gut.
Zeige mir, wie ich möglichst vorteilhaft mit diesem Ding umgehe“.

Bereits wenige Tage später nutzte Manfred-Michael seine Arabella 2, der Name erschien ihm
passend, täglich mehrere Stunden. Schnell hatte er sich an die Bequemlichkeit, die ihm der
Rechner bot gewöhnt. Kein regelmäßiges Verhaken der Buchstabenträger, kein Wechsel des
Farbbandes, nichts störte den Fluss seiner Gedanken, die er aufs Papier bannen wollte. Das leise Geräusch des Ventilators und die grüne Kontrollleuchte waren ihm angenehme Begleiter. Er schaltete den Rechner niemals aus, denn er wollte jederzeit den Gedankenblitz
schnellstens dokumentieren, bevor dieser durch andere Überlegungen verdeckt wurde und unwiederbringlich verloren ging. Ständig stand er nachts auf und fügte seinem Werk weitere Zeilen, manchmal ein ganzes Kapitel zu.

Für die Dauer des Erschaffens seines großen Romans hatte er die Übereinkunft mit seiner Frau geschlossen, dass jeder in einem separaten Bett schlafen sollte, damit er durch sein häufiges Umherirren, nicht den notwendigen Schlaf seiner Gemahlin stören könne. Er bat sie, sein Büro nicht zu betreten, wenigstens aber, wenn ein Aufenthalt in diesem Zimmer unausweichlich geworden war, nichts auf dem Schreibtisch zu berühren, insbesondere nicht
den Computer. Auf die Frage. „Wie weit bist du?“, erhielt die Frau Auskünfte wie: „Kapitel3, Seite 124, Kapitel 5, Seite 198 oder Kapitel 6, Seite 266“. Über das Thema oder gar den Inhalt seines Romans hielt sich Manfred-Michael bedeckt und hütete die Einzelheiten wie ein Staatsgeheimnis.

„Morgen werde ich fertig. Der Roman ist nahezu vollständig. Mir sollte noch ein passender Titel einfallen, damit die Menschen zum Kauf angeregt werden. Es wird ein Bestseller!“ Der Autor saß euphorisch am Tisch und verspeiste sein Abendbrot. „Noch einmal schlafen. Und du wirst die Erste sein, die den Beginn des Romans hört, denn ich werde ihn daraus vorlesen“.
„Darauf bin ich wirklich gespannt. Lege dich schon hin. Ich räume kurz ab und komme dann auch“. Manfred-Michael legte sich ins Bett und war augenblicklich eingeschlafen. In seinen Träumen wurde der Roman ein Welterfolg. Er wurde mit Preisen im In- und Ausland überhäuft, das Nobelpreiskomitee rief gerade an, als er durch einen Donnerschlag erwachte.
Ein Sommergewitter entlud sich in unmittelbarer Nähe, dicke Regentropfen, dann Hagel prasselten auf das Dach des Wintergartens und immer wieder schlugen Blitze in das nahe gelegene Waldstück. In diesem Moment kam ihm die Erleuchtung. Er hatte seinen Titel gefunden. Er war sicher, dass er sich mit seinem Roman auf Augenhöhe mit den Giganten der Weltliteratur befand. Der Sturm zog weiter. Manfred-Michael schlief nochmal ein.

„Jetzt noch der Titel“. Der Schriftsteller schaute stirnrunzelnd auf den dunklen Monitor.
Wieso lief der Computer nicht? „Irmgard! Warum hast du meinen Rechner ausgeschaltet?“ rief er wütend in Richtung Küche. „Ich habe deinen Computer nicht berührt. Vielleicht warst du es ja selbst“. Manfred-Michael drückte auf den Startknopf des Rechners. Augenblicklich erhellte sich der Monitor. „Gut! Jetzt die Datei Roman 1 aufgerufen und gedruckt“. Doch statt des Romans erschien die lakonische Meldung: Datei nicht vorhanden. „Das kann doch nicht wahr sein!“ Manfred-Michael schrie den Monitor an. Er drückte verschiedene Knöpfe in der Hoffnung sein Werk zu finden. Erfolglos. Neue Meldung: Download nicht möglich. Der Mann sackte zusammen. Die Arbeit von Wochen und Monaten einfach verschwunden, unwiederbringlich und endgültig von den Schaltkreisen und Speichern des Rechners verschluckt.

„Wahrscheinlich ist eine Überspannung schuld. Das Gewitter hat bestimmt damit zu tun“. Die Frau legte ihre Hände auf seine Schultern. „Das ist kein Trost. Was mache ich nur? Ich kann das alles unmöglich wiederholen“. Manfred-Michael war verzweifelt.“Hast du denn keine Sicherheitskopie gemacht?“

„Welche Sicherheitskopie? Das Wort kenne ich überhaupt nicht“. Irmgard zog eine glänzende Scheibe aus ihrer Kitteltasche. „Eine Kopie der Dateien überträgt man auf solche Disketten. Ein Glück, dass ich noch gestern Abend eine gemacht habe“.


Konversation wird geladen