„Nur noch ein paar Meter mein Schatz, dann kannst du die Augenbinde abnehmen.“

Leicht unsicher trottet sie ihm an der Hand hinterher. „Ach mein lieber Neumund, ich kann es kaum erwarten, die Weihnachtsüberraschung zu sehen.“

Jeder ihrer Schritte lässt den Schnee unter ihren Füßen knirschen. Es fühlt sich so seltsam an, die Kontrolle abzugeben. Huch, was ist das?
Langsam gleitet die Maske über Ausinas Gesicht und gibt ihr den Blick frei.

Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.

„Neumund, aber wo hast du diesen schönen Tannenbaum gefunden? Und die weihnachtliche Deko? All die Kerzen? Sind das etwa Geschenke?“

Neumund nickte schnell mehrmals hintereinander.

„Ich…“

„Ich kann es kaum fassen.“

„Dann halte dich mal fest, was ich noch für dich habe.“

Sichtbar angespannt steht sie dort und wartet, während Neumund unter seiner Jacke wühlt.

„Kann ich dir helfen?“

Neumund schüttelt den Kopf. „Nur noch… ach wo ist es?“

Es sieht nicht gesund aus, was Neumund dort veranstaltet. Wühlt in seinen Taschen und verrenkt sich. „Tu dir nicht weh, mein Schatz.“

Woraufhin sie einen bitteren Blick von ihm erntet. Ich meine es ja nur gut.

„Nicht dein Ernst?“ Musik aus dem Nichts? Wie lange habe ich keine mehr gehört?

„Ist das Schwanenteich von Tschaikowski?“

„Eine Neuinterpretation aus den 2000er Jahren - mit Gesang.“

Während Tränen an ihren Wangen hinuntergleiten, schluchzt sie: „Noch glücklicher hättest du mich nicht machen können.“

Neumund wischt ihre Tränen mit einem Finger weg und drückt sie ganz fest an sich heran. „Der Tannenbaum ist hier über die Jahre gewachsen. Ich habe ein Netz von Haus zu Haus gespannt, damit er verborgen bleibt.

Jahrelang habe ich diese kleine Oase in einer Seitengasse gehütet. Endlich zahlt es sich aus.

„Wollen wir tanzen, meine Prinzessin?“ Er stößt sie zurück und hält ihr auffordernd seine Hand hin.

„Führe mich!“

Neumund greift ihre Hand, legt seine um ihre Hüfte und zieht sie an sich heran.

„Es ist so schön mein Neumund.“

Er hat aber auch den perfekten Tag erwischt. Die Luft ist kühl. Rote Wolken stehen am Himmel, durch die ab und zu die untergehende Sonne durchscheint. Jeder ihrer Schritte knirscht und hinterlässt in der Schneedecke tiefe Abdrücke. Buntes Licht von der Lichterkette reflektiert an jeder Schneeflocke in der Nähe und malt die Seitengasse stimmungsvoll aus.

„Unsere Kinder sehen ja bei unserem Tanz zu.“

„Ich habe sie da auf die Bank gesetzt. So können sie immer den Tannenbaum im Auge behalten.

„Sie hätten Weihnachten geliebt.“

Neumund spürt, wie die Stimmung zu kippen droht. „Lass uns die Geschenke auspacken.“

„Ich habe dieses Jahr gar nichts für dich. Deswegen bekomme ich gleich ein schlechtes Gewissen.“

„Du musst kein schlechtes Gewissen haben, denn ich habe gleich zwei besorgt.“

Hastig versucht Ausina ihres aufzureißen, doch ein Band hindert sie daran. „Du musst erst die Schleife lösen. Warte, ich helfe dir!“

Mit vereinter Kraft befreien sie das Geschenk. „Ein Herz, doch es ist zerbrochen.“ Sie schaut ihn fragend an.

Inzwischen hat er seins auch ausgepackt. „Halte deins mal ran. Sie passen perfekt zusammen.“

Ausina drückt das Herz an ihre Brust. „Der ist für dich mein Schatz.“ Neumund bekommt einen dicken Schmatzer verpasst.

Ihre Blicke richten sich nach oben. „Schau Neumund. Es schneit!“

Und ich dachte, es könnte nicht mehr schöner werden!

Sie kann nicht anders. Ausina streckt die Hände auseinander. „Ich liebe den Schnee. Er brennt nicht so stark auf der Haut, wie der Regen.“

Wie in Trance dreht sie mehrere Runden um den Tannenbaum. Auf einmal bleibt sie stehen und fällt auf die Knie. Würgegeräusche kommen aus ihrer Richtung. Langsam schlendert Neumund zu ihr. Als sie aufhört zu spucken, bückt sich er zu ihr. “Geht’s wieder?“

Nickend bestätigt sie und wischt sich die Reste des Bluts weg.

„Ich fühle mich nicht gut, mein Neumund.“

„Dann lass uns langsam nach Hause gehen.“ Er schiebt die Tarnnetze zur Seite, damit beide durchschreiten können.

„Danke mein Schatz, es war sehr schön.“

Für einen Moment habe ich es vergessen. Als sie die Seitengasse verlassen, kommt wieder die karge Landschaft zum Vorschein. Ihr Blick schweift in der Ferne.
All die toten Bäume.

Je weiter sie sich vom Refugium entfernen, desto offensichtlicher wird die Wirklichkeit.

All die Skelette toter Tiere und Menschen.

Aber auch hier knirscht der Schnee angenehm unter ihren Füßen.

All die Zerstörung.

Mit jedem Meter, den sie sich entfernen, verlasen sie die Traumwelt, in die sie sich einen Moment zurückgezogen haben.

Verflucht sei derjenige, der zuerst auf den Knopf gedrückt hat. Nach oben

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