Urlaub kennt sie nicht. Nie war Geld dafür da. Immer waren ihre Eltern pleite. Erhielten sie Geld, war es schnell weg. Manchmal wurde es in Nahrung für die Plagen gestopft, selten in Kleidung und häufig in Drogen, Alkohol und Tabak. An Feiertagen durften es auch Glückstabletten sein. Diese brachte ein netter Onkel vorbei.
Den Tabak konnte sie mit Husten ertragen. Dagegen war der Alkohol ein russisches Roulettespiel. Es gab Tage, an denen ihre Eltern lachend auf der Couch landeten, um rücksichtslos nackt zu sein. Fing keiner das Kichern an, drohte der Krieg. Mama und Papa beleidigten sich aufs Übelste. Manchmal flogen die Fäuste. Für ihre jüngeren Geschwister war dies Stress pur. Sie weinten und schrien, sodass die Eltern umso lauter brüllten.
Am allerschlimmsten waren die Glückspillen. Glück brachten sie ihr nie. Mama und Papa sahen das anders. Mit den Pillen sahen sie vieles anders.
Kurz bevor sie vierzehn wurde, begann ein warmer Sommer. Eine Freundin nach der anderen fuhr oder flog an einen weit entfernten Ort. Mindestens 500 Kilo Kilometer weg. Ihre weiteste Fahrt war der Supermarkt drei Orte weiter. Selbst die Klassenfahrten verpasste sie wegen des notorisch leeren Kontos.
Dank eines Atlasses kannte sie sich in der Welt aus. Jedes einzelne Land war ihr ein Begriff. Inzwischen konnte sie bei 30 % aller Länder die exakte Position erklären.
Wenn sie jemand fragte, warum sie sich gut auf der Welt auskannte, antwortete sie, sie hätte die Hälfte aller Länder bereits besucht. Niemand hinterfragte sie.
Auch ihre Mutter machte einen Ausflug. Keiner erfuhr, wohin und wie lange. Sie ließ Kinder und Vater allein.
Dabei war egal, ob ihr Papa anwesend war oder nicht. Er taugte lediglich zum Unterschreiben einer Klassenarbeit. Den Haushalt schmiss sie sowieso schon selbst. Mit der Kinderversorgung verhielt es sich kaum anders. Sie half beim Waschen und Anziehen, sorgte für ein Grundmaß an Sauberkeit und Ordnung, damit das Jugendamt handlungsunfähig blieb.
Drei Tage nach ihrem Geburtstag stand Mama bester Laune vor der Tür. Sie trug ein Netzoberteil, welches jedem verriet, darunter versteckt sich ein himmelblauer Bügel-BH. Ihre klapprigen Beine ragten unter einem pinken Midirock hervor. Smokey Eyes ließen jeden Wissen, dass ihre Fröhlichkeit nicht natürlichen Ursprungs war.
"He meine Kleine. Du wirst heute vierzehn! Moment, du bist doch die Älteste, oder?!" Trotz mehrmaliger Versuche konnte ihre Mama keinen Blickkontakt halten.
"Ähm, ja, aber der war vor drei Tagen."
"Ach so. Hat dir dein Vater ein Geschenk gemacht?" Ihre Mutter krallte sich den Türrahmen, weil ihr Körper Mühe hatte, das Gleichgewicht zu halten.
"Nein, er liegt seit fünf Tagen im Bett."
"Dieser unfähige Arsch. Ein Taugenichts ist er. Wir hatten eine Vereinbarung! Er sollte sich um euch kümmern, damit ich mal einen Tag rauskomme." Spucke flog aus dem mütterlichen rosaroten Mund in das jugendlich unschuldige Gesicht des Mädchens.
"Mama ..."
"Nein! Er muss seine Verantwortung seinen Kindern gegenüber ernst nehmen! Das wird er mir büßen." Die Frau stolperte in die Wohnung.
Schnell schloss die Jugendliche die Tür. Ihre einzige Möglichkeit, die Informationsgier der Nachbarn zu dämpfen.
"Mama ... bitte!" Verzweifelt sah sie ihre Mama an, die nach wie vor alles andere ansah als das Gesicht ihrer Tochter.
"Ich regel das mein Liebling. So hat dein Vater nicht mit dir umzugehen." Das mütterliche Geschimpfe steigerte sich auf die Lautstärke "Tote erwecken".
Aus Angst griff das Mädchen zu einer Lüge: "Mama, bitte. Bitte nicht an meinem Geburtstag."
"Du hast Geburtstag?! Wie alt wirst du? 15?" Die farbenfrohe Mutter schwankte kurz, fand Dank der Wand einen stabilen Stand. "Warte kurz ... jetzt weiß ich es. Du wirst 16!"
"Ja Mama. So in etwa."
"Hm ... hat dir dein Vater ein Geschenk gemacht?"
"Ja." Aus Selbstschutz nutzte das Kind eine weitere Lüge.
"Ah ... hm ... Gut. Okay, ich mach dir auch ein Geschenk. Mit 16 ist das bestimmt okay."
Ungelenk kramte sie in ihrer kleinen Handtasche. "Wo sind sie?!"
"Mama, es ist okay. Ich brauche kein Geschenk."
"Nein, wenn meine Kleine Geburtstag hat, muss ich ihr auch etwas schenken." Mit hektischen Bewegungen durchwühlte sie sämtliche Taschen an ihren Kleidern.
Schließlich fand sie ein Tütchen in ihrer Handtasche.
"Mein Kind, ich möchte dir eine Reise schenken. Wir machen sie gemeinsam. Nur Mama mit Tochter. Ohne den Taugenichts. Was meinst du, wohin soll die Reise gehen?" Nach etwas Fummelei hält sie dem Kind eine kleine weiße Tablette hin.


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