Am Abend zuvor wollte sie gestorben sein, was ihr aber nicht gelungen war.
Wartete, bereit abzutreten, dass sich der Tod einstellte. Was nicht geschah.
So gings aber auch nicht weiter.
Dachte daran, wie sie sich an der Kasse hatte hetzen lassen aufs Unerträglichste.
Hatte alles unter massivem Druck, völlig entgegen ihrer eigentlichen Absicht, total ungeordnet nur eben in die Einkaufstasche hinein gescheffelt und die Münzen und Scheine zusammen mit dem Bon einfach nur lose hinterdrein geworfen. Bloß weg.
Zuhause fehlte ein Zwanziger. Sie verglich nochmal Wechselgeld und Kassenzettel, zählte und kramte nach in den Tiefen ihres Shoppers. Es blieb unverändert. Und es blieb belastend. Ein widerliches Schleimmonster. Hartnäckig festgeklebt im Nacken.
Wie die Dämmerung langsam hereinbrach, drückte es ihr mehr und mehr die Luft ab.
So gings demnach doch weiter.
Sie dachte daran, dass sie ihre Silvestervorsätze eingehalten hatte aufs Genaueste.
Nochmal in die Stadt, die Kontoauszüge holen. Mit tagesaktuellem Jahresabschluss.
Auf der Post gab es keinen. Mangels Papier. Das machte ihr exakt nichts. Sie hatte ihren Willen gegenüber sich selbst erfolgreich durchgesetzt, war aufgebrochen bei Kälte und Nieselwetter, hatte sich Schwung und Zeit genommen dafür, war bester Laune. Genoss die Unbeschwertheit des Lebens. Des Tages. In diesem Moment.
Dass sie rausgegangen war.
Und dass sie zu Fuß gegangen war.
War den kleinen Fußpfad durch die Gärten hinuntergeschwebt, hatte sich ein Stück Hauptstraße tragen lassen, bog gerade in die Fußgängerzone. Über die Straße. Als sie einer von hinten anhupte. Und aus allen Träumen riss.
Sie merkte wohl, dass einer hatte bremsen müssen, um sie vorbeizulassen. Wandte sich um, sich per Handzeichen zu bedanken. Auf der anderen Seite angekommen, erreichte sie wildes Geschrei: „Faule Socke!“
Der Fahrer hatte direkt nach der Kurve angehalten, die Scheibe heruntergelassen und sie anmachen wollen: „Zwanzig Meter weiter ist die Ampel!“ „Stimmt!“, rief sie zurück. Zustimmend. Da war in der Tat eine Ampel. Und er der einzige Autofahrer weit und breit. Nur noch geschlossene Geschäfte. Die schon des Jahreswechsels harrten. Verdunkelt verrammelt.
Sie ging ihres Weges.
Unbehelligt. Von dem Schrecken, der sie hatte zusammenfahren, erglühen und in Schweiß ausbrechen lassen.
Hatte alle Grobheit umgehend entsorgt.
Widmete sich ungebrochen dieser Frau, die sie vor dem Zwischenfall gewesen war, eine Vergnügte, die eine mildwarme Ahnung gemütlicher Schaufensterfarben schon mal in sich aufblühen ließ, sich ihrer selbst und ihres wohlgepflegten Lebens freuend.
Viel später weitete sie ihren Blick auf die Vergangenheit aus.
Was gab es da noch, das auf den Müll statt in ihren gepflegten Kopf gehörte?
A. hatte ihr die Urlaubsfotos versprochen. Mehrfach. Schon seit 9 Jahren.
Kleinigkeit.
M1. hatte versprochen, seine Frau zu verlassen. Wollte eine Wohnung kaufen.
Verwunden.
M2. hatte auch irgendetwas. Sie wusste nur noch, es war etwas Schwerwiegendes. Konnte sich dennoch schon gar nicht mehr daran erinnern. Hatte es halt erfolgreich
ausgemistet.