Ich und meine Sporttasche sitzen gemeinsam auf dem Boden, um uns herum verteilt liegen meine sieben Sachen.
Nur sind es leider nicht bloß sieben, sondern alles in allem einfach viel zu viele.
Als ich vor fünf Jahren in diese Studentenwohnung gezogen bin, die aus nicht mehr als einem kleinen Zimmer und einem Bad besteht, hatte mein gesamter Besitz in einer Sporttasche Platz gefunden. Ich hatte mir damals vorgenommen keinen sinnlosen Müll anzusammeln. Alles, was ich besitze, alles, was ich brauche, muss in einer Tasche Platz haben.
Das war der Deal.
Dennoch habe ich es über die Jahre irgendwie geschafft, jeden Zentimeter freie Fläche meines Zimmers mit einem Sammelsurium verschiedenster Gegenstände vollzupacken.
Das meiste davon habe ich bereits als Müll abgeschrieben und werde es im Bermuda-Dreieck – dem Treppenhaus – verschwinden lassen.
Ein Straßenschild, ein entstelltes und bekritzeltes Plakat eines unsympathischen Politikers, ein kaputter Laptop, ein altes Schachspiel, bei dem Figuren fehlen und viele andere Erinnerungen, die an einem anderen Ort als hier nur seelenlose Gegenstände wären, habe ich auf die eine Seite des Zimmers verbannt.
Auf der anderen Seite liegt ein kleiner Stapel Klamotten, ein noch kleinerer Turm Bücher und eine Mappe mit verschiedenen Dokumenten. Unter anderem mein Hochschulzeugnis. Kurz hatte ich überlegt, auch das dem Bermuda-Dreieck zu überlassen. Vielleicht kann ja irgendjemand anderes im Haus etwas mit einem Bachelor in Philosophie anfangen. Ich bezweifle es.
Eine Sporttasche für ein Leben. Welche dieser Gegenstände bin ich, und welche war ich einmal? Welche besitze ich nur noch und welche besitzen noch mich?
Die meisten Bücher bleiben hier. Die Unterhosen kommen mit.
Aber was mache ich mit dir?
Seit zwei Stunden sitze ich im Schneidersitz inmitten meines Lebens, rauche eine endlose Zigarette und wiege den kleinen Stein in meiner Hand. Er ist kaum größer als eine zwei Euro Münze, und trotzdem weiß ich nicht, ob er in meine Tasche passt. Er wiegt mehr als alles andere in dem Zimmer.
Für jeden Anderen wärst du nur ein Stein, aber für mich bist du vier Jahre meines Lebens. Vier Jahre Glück, ein Versprechen, ein Anker und letzten Endes ein Splitter einer Granate.
Ich sitze auf dem Boden, wie Anna Karenina am Bahnsteig und versuche nachzudenken, aber mein Gehirn ist wie blockiert. Vielleicht habe ich die Entscheidung ja längst getroffen. Aber zwischen dem Fassen eines Entschlusses und dem Handeln liegt die gesamte Vergangenheit. Und deren Anziehungskraft ist um einiges stärker, als die der Zukunft.
Alles versucht mir gleichzeitig durch den Kopf zu gehen.
Der Tag an dem ich den Stein zum ersten Mal in der Hand gehalten hatte --- grüne Augen --- noch warm von deiner Hand --- dann in meiner Hosentasche --- um meinen Hals --- der Geruch von Sicherheit und Frieden --- an meinem Handgelenk --- schlaflose Nächte --- lachen --- lächeln --- Lippen --- Tränen…
Der unerträgliche Lärm des Schweigens.
Ich zünde mir mit dem glühendem Stummel eine neue Zigarette an. Du wolltest, dass ich aufhöre. Ich nicht.
Jetzt rauche ich die zehnte Zigarette in Folge und fühle mich schrecklich. Ist das diese Freiheit, von der meine Freunde immer sprechen, wenn sie versuchen mich aufzuheitern? Sie schmeckt nach Asche und Tod.
Tolle Freunde. Auch sie werden im Bermuda-Dreieck verschwinden.
Als ich nach unbestimmter Zeit aus meiner Versenkung erwache, bemerke ich, dass sich die Glut meiner Zigarette in ein Brandloch im Teppich verwandelt hat.
Ich stehe auf, massiere etwas Gefühl in meine tauben Beine zurück und beginne den ganzen Krempel in das Treppenhaus zu räumen.
Schon als ich die letzten Gegenstände hinausschaffe, sind die ersten bereits verschwunden. Ein herrliches Gefühl.
Danach packe ich meine Tasche und lege den Stein so auf den Boden, dass er das Brandloch verdeckt.
Ich werfe mir meine Sporttasche über die Schulter und trete von einem Leben in ein anderes, ohne mich noch einmal umzublicken.