Leise surrt ein altes elektrisches Schloss und gibt die schwerfällige Tür frei, die beim Aufschieben Licht in eine dunkle Halle wirft. Eine dicke Staubschicht hat sich über die Jahrzehnte auf jeden Quadratzentimeter gelegt. Einige Staubkörner werden durch den Windzug der Tür aufgewirbelt und schimmern wie kleine Diamanten in der Luft.
„Papa, das ist doch der Schuppen, in den keiner hineingehen darf!“
„Wir haben einen neuen Traktor und brauchen Platz. Komm mit!“
Ihre Schritte hinterlassen deutliche Spuren im Staub. Es dauert einen Moment, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben.
Voller Begeisterung schaut sich Jakob um. „Das ist ja unser altes Auto.“
„Genau, das hat uns damals auf der Reise nach Italien im Stich gelassen. Erinnerst du dich?“
„Na klar Papa, wir mussten in diesem furchtbaren Rasthaus schlafen.“
„Aber es hatte einen Pool.“
„In dem die Ratten schwammen!“
„Ich gebe es auf. Du hast recht, es war furchtbar.“ Beide fangen an zu lachen und brauchen einen Moment, bis sie sich wieder beruhigen.
Jakob wischt sich eine Träne aus dem Gesicht. „So im Nachhinein ist es ganz witzig.“
„Da schau, den mochte ich am liebsten. Sein Motorgeräusch habe ich geliebt. Er hat uns jeden Berg hinaufgezogen, ohne Widerworte. Manchmal habe ich mich nachts, wenn ich nicht schlafen konnte, hineingesetzt und den Motor laufen lassen. Es hat mich beruhigt und dich als kleines Kind genauso.“
Einen Moment denkt Jakob nach und zuckt mit den Schultern. „Ich kann mich leider nicht mehr daran erinnern. Was ist mit diesem langweiligen Auto da?“
„Der Van?“
Jakob nickt.
„Den haben wir gekauft, als du geboren wurdest. Einige Monate später habe ich meinen V8 in den Schuppen hier gestellt. Der Kofferraum war nicht dafür ausgelegt, einen Kinderwagen aufzunehmen und deine Mom hielt ihn für zu unsicher. Was haben wir lange diskutiert. Spätestens mit deinen Geschwistern hätte der Platz aber eh nicht mehr gereicht.“
„Warum wurden seit meiner Geburt die Autos immer kleiner?“
„Nun Jakob, ihr habt uns regelrecht die Haare vom Kopf gefressen. Dazwischen gab es auch einige schlechte Ernten. Wir hatten es nicht immer leicht, doch stets haben wir das Beste draus gemacht.“
Auf einmal fällt Jakobs Blick auf etwas Unscheinbares. Fast als ob es seine Anwesenheit verschleiern will.
„Papa, was ist das unter der Plane?“
„Ich habe gehofft, dass dieser Tag nie kommen wird. Aber vermutlich hättest du es eh irgendwann herausgefunden.“ Anton geht zum verhüllten Objekt.
Mit einer Handgeste ruft er Jakob zu sich heran. „Hilfst du mir kurz?“
„Na klar!“ Gemeinsam greifen sie das Segeltuch und nach einem kräftigen Ruck stehen sie in einer Staubwolke.
Hustend rennen sie aus der Halle. „Vielleicht war das keine gute Idee es so ruckartig zu machen!“
„Definitiv nicht! Lass uns was trinken gehen, bis sich der Staub gesetzt hat.“
Nach einer ausgiebigen Pause wagen sie sich wieder in den Schuppen. Jakob streicht über die kalte Außenhülle und hinterlässt lange Streifen im Staub. „Was ist das Papa?“
„Nun, wir waren nicht immer hier ansässig. Sicherlich hast du auch bemerkt, dass du etwas anders bist, als viele deiner Mitmenschen.“
„Es gibt da einige Auffälligkeiten, sagen die Lehrer.“
Gezielt geht Anton auf eine Stelle zu und wischt den Staub weg. Es kommt eine für Jakob unbekannte Schrift zum Vorschein.
„Man kann es nicht wortwörtlich übersetzen. Es bedeutet ungefähr sowas wie Freiheit. Dein Opa hat es mir gekauft. Ich habe mich nie wohlgefühlt, wo ich lebte, nie frei. Hatte einen Traum, woanders zu sein.“
„Lebst du ihn jetzt, Papa?“
Eine lange Pause und ein leerer Blick von Anton folgen, bis er sich schließlich Jakob zuwendet.
„Irgendwie schon, aber irgendwie auch nicht. Ich liebe euch alle, aber dieses Kribbeln, als ich in den Weltraum eindrang, Planeten erforschte und Abenteurer war. Dieses Verlangen werde ich wohl niemals loswerden.“
Nachdenklich streichelt er das Raumschiff.
„Unsere Technologie ist der menschlichen Jahrhunderte voraus. Bei ihrem Fortschrittstempo werden sie nicht in 150 Jahren so weit sein, Treibstoff zu synthetisieren, der sie ausreichend weit fortbringen kann. Geschweige denn die Computer dafür besitzen, um die notwendige Rechenleistung fürs Raumfahren aufzubringen. Die 3d-Beschleuniger sind nett, aber weit entfernt davon, die Minimalanforderungen zu erfüllen. Ach Jakob, ich könnte noch ewig davon erzählen.“
„Papa, du könntest überall hinreisen, warum bist du ausgerechnet hiergeblieben?“
„Deine Mutter hat mir den Kopf verdreht. So eine, wie sie habe ich noch nie vorher getroffen. Weibliche Bewohner der Erde unterscheiden sich stark von unseren hiesigen Frauen. Und das hat mich gereizt. Ich denke nicht, dass ich jemals wieder irgendwo hinreisen werde. Es wird Zeit dieses Erinnerungsstück zu entsorgen und Platz für den Traktor zu schaffen.“
Geknickt verlassen beide den Stall. Anton schiebt die schwere Tür ins Schloss zurück.
Beim Abendbrot schauen alle auf ihre Teller. Einen Verdacht hat Antons Frau Marie schon, warum sie sich alle so ruhig verhalten. Nach dem Abräumen schaut sie an Jakobs Lieblingsort vorbei, wo er immer viel Zeit verbringt, wenn er nachdenken muss. Am Haus wächst ein Busch, der ein Stück Terrasse überwuchert hat und Blickschutz bietet. Füße baumelnd sitzt er am Rand und schaut hinaus in den dunklen Nachthimmel.
Doch Marie schleicht sich nicht leise genug an. „Mom, hast du es gewusst?“
Sie setzt sich neben ihn. „Ja, mein Schatz. Dein Vater hat mir recht früh davon erzählt. Ich hielt ihn für einen Spinner, aber er hatte etwas an sich. Ich kann es - nicht beschrieben. Wir hatten viele Bedenken damals, aber alle waren völlig unbegründet.“
„Das habe ich dir zwar nie erzählt Mom, aber schon seit ich mich erinnern kann, löst ein Blick in die Sterne, eine mir unverständliche Sehnsucht aus.“
„Ich…“ An Maries Wangen laufen Tränen hinunter.
„Ich schätze, ich werde dich nicht aufhalten können. So wie ich Angst habe deinen Vater zu verlieren. Jeden Tag, wenn ich nach Hause komme, schaue ich als Erstes in diesen Schuppen, ob noch alles an Ort und Stelle ist.“
Jakob legt seinen Kopf auf ihren Schoß und genießt diesen innigen Moment.

Diese Nacht wälzt sich Jakob von einer Seite auf die andere und kann nicht einschlafen. Der Gedanke an das Raumschiff lässt ihm keine Ruhe.
„Ach, was solls.“ Er springt auf, schlüpft in seine Kleider und schleicht sich leise aus dem Haus.
Praktisch, Vater hat vergessen die Tür zu verriegeln.
Leise schiebt er die Tür auf, damit er durchschlüpfen kann und zieht sie hinter sich zu.
Dieses Kribbeln… So hat sich bestimmt Vater damals gefühlt.
Wenig Licht fällt durch die schmalen Fenster im Schuppen.
Zeit für die Geheimwaffe gegen Dunkelheit – Die Taschenlampe. Ein kräftiger Strahl sorgt für Licht, mit dem sich Jakob vorsichtig durch den Schuppen bewegt. Er nimmt jedes Detail wahr, leuchtet jeden Winkel aus und betrachtet alles aufmerksam, bis er vor dem Raumschiff steht.
„Die Sehnsucht nach Freiheit habe ich wohl von dir, mein Vater.“
Vorsichtig tastet er auf der Suche nach einem Öffnungsmechanismus am Raumschiff, bis er eine Vertiefung findet. Mit einem Klacken lösen sich einige Halteklammern und die Einstiegsluke springt auf. Jakobs Herz klopft wie verrückt. Zaghaft zieht er die Luke nach oben und zuckt im selben Augenblick zusammen. Ein ohrenbetäubendes Quietschen hallt durch die Nacht. Offenbar wurde sie schon seit langer Zeit nicht mehr geöffnet.
Hoffentlich hat das keiner gehört!
Schwungvoll zieht er sich an der Haltestange in den Sitz hinein.
Gefühlvoll streicht Jakob über die Instrumente. Hier drin befindet sich kein Staub. Auch hier die unbekannten Symbole. Wo ist bloß der Einschaltknopf?
Tatsächlich befindet sich ein recht großer Knopf auf der Konsole unter einer Abdeckung. Vorsichtig hebt er sie an und drückt ihn.
Für einen Moment passiert nichts, doch dann fangen immer mehr Symbole an aufzuleuchten. Eine raue Stimme in unbekannter Sprache ist zu hören. Immer mehr Systeme werden initialisiert. Immer penetranter spricht das Raumschiff mit Jakob.
„Tut mir leid, ich verstehe dich nicht.“
„Ich verstehe dich.“ Kommt aus den Lautsprechern des Raumschiffs zurück.
„Adaptives Sprachlernprogramm wurde abgeschlossen. Aufgrund der DNA-Analyse schließe ich auf den jungen Captain – tut mir leid, Folgendes lässt sich nicht übersetzen – „Hartschogok“. Ich bitte um Autorisierung.“
„Captain Hartschogok!“
Jakob fährt im Sitz zusammen, als er die Stimme seines Vaters hört.
„Ohne den hier wird es nicht funktionieren.“ Anton tritt an die Luke, hält in seiner Hand den Anhänger, den er sonst um seinen Hals trägt und lacht.
„Wollen wir einen Ausflug machen?“


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