Fles Songaid - Ein Lebenstraum

 

Panisch blickt sich Frank um. Schweißperlen bedecken seine Stirn. Nervös kratz er sich am Arm, während die Zeit unaufhaltsam davonrinnt. Tick-Tock, Tick-Tock, schallt es von der Wand, als ob jemand sein Hirn mit einem Hammer bearbeiten würde.

Schon wieder fünf Minuten um. Hirn, konzentrier dich. Wir haben doch für die Prüfung gelernt. Lass mich nicht hängen.

Frank schaut auf seinen leeren Zettel, greift zum Stift, als es plötzlich laut über den Boden kratzt.

Was, schon wieder? Wie konnte Hans so schnell fertig werden?

Er hört, wie die Auswertungsmaschine die Zettel einzieht und auch wie einen Moment später der Briefumschlag mit den Ergebnissen in den Fangkorb fällt. Und Frank hat es nicht einmal geschafft seinen Namen draufzuschreiben. Ein Blick auf die Uhr lässt ich schlucken.

Nur noch 15 Minuten. Frank, du musst dich konzentrieren. Hier geht es um deinen Traum. Wenn das schief geht, dann wars das. Noch eine Chance wird es nicht geben.

Ach Frank, klar sich selbst Druck zu machen ist eine gute Idee. Weil du mit Druck, so gut zurechtkommst.

So nun versuch dich zu entspannen. Denk an was Schönes - Ruhm, Sonne, Strand, Meer, nackte Frauen.

Wow Frank, das ist ebenfalls nicht wirklich hilfreich.


Ein tiefer Luftzug, mit dem Frank die abgestandene Luft inhaliert. Obwohl am Nachtest nicht so viele Personen teilnehmen, riecht er trotzdem dutzende Duftnoten verschiedener Parfümsorten, die durch den Raum schweben. Plötzlich fängt er an zu husten und es hört nicht auf. Alle Blicke richten sich auf ihn und selbst der Lehrer blickt auf.

„Kadett, ist alles in Ordnung?“

Panisch nickt Frank und richtet seinen Blick wieder auf den Zettel.

Auch noch an der eigenen Spucke verschluckt. So was kann auch echt nur mir passieren. Eigentlich ist meine Kehle trocken, ein Schluck Wasser wäre toll, aber bevor wieder irgendwas passiert, lasse ich es lieber sein.

Tick-Tock, Tick-Tock, erinnert die Uhr Frank aufs Härteste, dass wieder fünf Minuten um sind.

So, nun absolute Konzentration Frank!

Tatsächlich gelingt es ihm diesmal seine Gedanken zu fokussieren.

Klassische Raumfahrt. Ihre Hauptantriebe sind ausgefallen und nur noch der Unterlichtantrieb steht zur Verfügung. Leider sind sie zu schnell und ihr Unterlichtantrieb kann die Geschwindigkeit nicht kompensieren. Doch Ihre Lage könnte schlimmer sein, denn glücklicherweise befinden Sie sich in unserem Sonnensystem und die Planeten stehen günstig für mehrere Swing-by Manöver. Berechnen sie anhand der gelernten Daten zum Raumfahrzeug XT-423-„Kobra“ die maximal mögliche Geschwindigkeitsreduktion. Vergessen Sie nicht zu berücksichtigen, dass Sie in diesem Raumschiff sitzen. Formulieren sie kurz, ob die Reduktion ausreichen wird, um das Raumfahrzeug mit dem Unterlichtantrieb, vor Passieren der Erde, zu stoppen.

Frank schaut sich die Zeichnung an. Kurzerhand zeichnet er den bestmöglichen Bremsweg ein, kritzelt schnell einige Formeln hin.

Erster Planet, zweiter Planet, dritter, vierter.

Nun scheint Frank eine Glückssträhne zu haben. Hangelt sich von Aufgabe zu Aufgabe, kritzelt selbstbewusst Antworten aufs Papier.

„Nur noch 5 Minuten!“, ruft der Lehrer in den Raum.

Zack, wie ein Blitz fährt es durch Franks Kopf und wieder alles ist wieder weg. Gedankenverloren starrt er einen Fleck auf dem Tisch an. Gefühlt steht die Zeit für ihn still. Tick-Tock- Tick-Tock, zieht diese gottverdammte Uhr erbarmungslos an der Zeit.

„Ich warte draußen auf dich.“, flüstert ihn seine Banknachbarin zu. Doch das nimmt Frank nur unterbewusst wahr. Er starrt immer noch unerlässlich diesen Fleck an.

„Kadetten, die Zeit ist um. Packt eure Stifte beiseite und eure Ergebnisse in die Auswertungsmaschine.“

Es wird immer stiller im Raum. Habe ich es geschafft? Bin ich weiter?

Bis Frank gnadenlos aus seinem Tagtraum gerissen wird. „Kadett, was trödeln Sie denn so lange da herum? Geben Sie ihren Test ab, sonst muss ich Sie leider disqualifizieren!“

Schwer und langsam, als ob es sein letzter Gang wäre, schlurft Frank zur Maschine. Legt die Unterlagen ins Fach. Wie in Trance hört er den Lehrer sprechen.

„Das wird schon Kadett!“, klopft er ihm auf die Schulter und reicht ihm den Umschlag mit dem Ergebnis,
Frank nickt und steckt sich den Umschlag in die Innentasche, während er zur Tür schlurft. Als er die Flasche Wasser in Lauras Hand sieht: „Wasser.“, haucht er ihr entgegen. Fast so, als ob er gerade die Sahara durchquert hätte.

„Hier bitte.“, reicht Laura ihm die Flasche. Hastig trinkt er sie aus, ohne abzusetzen.

Etwas irritiert von seinem Durst fängt sie an zu plappern: „Ich hab ja gesagt, dass ich auf dich warte! Habe auch noch nicht meinen Umschlag geöffnet. Das machen wir nachher zusammen!“, wedelt sie damit umher.

„Aber, wie lief es eigentlich?“

Als sie mitbekommt, dass er keine Miene verzieht, kann sie sich schon denken, was passiert ist. „Lief nicht so gut oder? Hattest du wieder einen Blackout?“

Ausdruckslos nickt Frank. Doch Laura lässt sich nicht unterkriegen, legt ihren Arm um seine Schulter und zieht ihn zu sich heran. „Komm, die Kadetten vom letzten Jahr haben gleich ihren ersten Übungsflug. Das Spektakel sollten wir uns nicht entgehen lassen!“

„Ja, du hast recht. Ich habe mich doch auch schon total drauf gefreut!“

Ein Blick auf die Uhr verrät Laura: „Wir sind zu spät. Los, nimm die Beine in die Hand!“, rennt sie schon voraus.
Ach Laura, zwing mich nicht dazu. Lass mich doch einfach leiden!

Frank bleibt keine andere Wahl, als ihr hinterherzurennen, denn irgendwie will er auch nicht alleine sein. Plötzlich bleibt Frank stehen. Eine alte Erinnerung springt ihn in den Kopf.

All die Jahre habe ich keinen der Starts verpasst. Mit meinen Eltern habe ich mir immer dieses Spektakel angeschaut. Es ist einmalig auf der Welt, weil sie die einzige Raumfahrakademie auf der Welt, hier gebaut haben. Zu dieser Zeit wimmelt die Stadt vor Touristen, die hierherkommen, um sich das Ereignis anzusehen. Noch keinen Einzigen habe ich verpasst!

Von der Erinnerung motiviert, rennt Frank wie ein Irrer los.

„Meine Damen und Herren, wer nicht gleich an der Tribüne ist, wird die Show seines Lebens verpassen!“, tönt es aus der Lautsprecheranlage der Stadt.

Schon als Kind habe ich es geliebt ihnen zuzuschauen. Wenn sie das erste Mal abheben, mischt man ihnen eine spezielle Flüssigkeit in den Kraftstoff, sodass ihre Antriebe den Himmel mit bunten Farben erstrahlen lassen. Sie waren schon immer meine Helden. Meine Vorbilder.

„Komm Frank, nur noch hier rum!“

„Ihr schon wieder! Bleibt bloß von meinem Dach fern!“, schreit eine alte Frau aus dem Fenster.

„Ich hoffe ihr habt endlich bestanden, damit das endlich aufhört!“ Eigentlich meint es die gute Frau auch nicht so ernst, verrät zumindest das Lächeln auf ihrem Gesicht.

„Tut mir leid Frau Kaminski, doch wir müssen aufs Dach. Von dort gibt es den besten Ausblick!“

Völlig abgehetzt kommen die Beiden oben an, hecheln ewig nach Luft, bis sich Laura aufrafft.

„Los, wie in alten Zeiten.“

Wie in alten Zeiten? Ich am Schornstein lehnend, sie liegt in meinem Arm. Nun gut.

„Schau da, es geht los!“

Erst traut sich Frank nicht so recht, aber schlussendlich umarmt er sie, drückt sie fest an sich heran.

Danke Laura, genau der Trost, den ich brauche!

Laura spürt, dass sein Atem ruhiger wird, lehnt ihren Kopf an und genießt es.

„Dieses Jahr sollen es vierhundert Absolventen sein und diesmal soll Glitzer mit drin sein! Du weißt Frank, ich liebe Glitzer.“

„Dieses Gerücht streuen sie schon seit Jahren, mal schauen, ob es dieses Jahr stimmt.“

Leise fängt an Musik von überall her zu spielen. Vierhundert Raumschiffe heben gleichzeitig ab. Sie haben den Startzeitpunkt so gewählt, dass die Sonne sie von hinten anstrahlt und der Himmel in allen möglichen Farben leuchtet. Die Musik wird lauter, um dieses epische Ereignis standgemäß zu untermalen. Immer höher steigen die Raumschiffe in die Luft.

„Schau Laura, du hattest recht. Es glitzert.“

Frank streckte seine Hand aus und merkwürdigerweise löste es in ihm ein wohliges Gefühl aus. Und Frauen haben ein Gespür für so was.

„Jetzt Frank! Der Moment ist perfekt.“

Jetzt kommt der Moment der Wahrheit.

Zeitgleich ziehen sie ihre Umschläge aus der Tasche und reißen sie auf.

“All your life - You've been waiting to be free”- Ich liebe diesen Song! Das ist das schönste Fest von allen. Dieser Moment - er kann gar nicht mehr epischer werden.

Sie ziehen die Karten aus den Umschlägen. Tränen laufen Lauras Wangen hinunter. Sie springt auf, doch ihr Jubeln geht im Lärm vom Fest unter.

Frank lässt seine Karte los, wie ein Blatt, mit dem der Wind spielt, gleitet sie sekundenlang durch die Luft, spielt mit dem Glitzer, bis sie im selben Moment aufkommt, wie die Tränen, die seine Wangen hinunterlaufen.


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