Mit Hexen konnte ich noch nie etwas anfangen. Entweder gehörten sie für mich in die Bücher oder in die Vergangenheit. Natürlich sind sie nicht echt, das weiß ich doch.
Warum diese seltsame Frau vor mir steht und etwas anderes behauptet, ist mir ein großes Rätsel.
Wahrscheinlich war der Tequila gestern schlecht. Oder ich hätte die Pizza noch mal prüfen sollen. Vielleicht hat der Lieferant sie heimlich mit Drogen versetzt. Na klar, das war es! Der Lieferant bringt sonst Crystal. Damit es niemand merkt, tarnt er es mit einer Pizza. Irgendwie muss die Lieferung durcheinander gekommen sein. Deshalb war die Hawaii so mega teuer. Das lag kein bisschen an den aktuellen Lieferschwierigkeiten von Mehl und den gestiegenen Preisen.
Okay, die Ursache ist geklärt. Was aber mache ich mit dem Symptom, dem seltsamen gnomigen Wesen vor mir? Höchstwahrscheinlich eine Halluzination. Niemand echtes trägt eine Frack-Kombination mit einer Fliegerbrille und einem Strickhut. Ziemlich Panne. Das denkt sich nur das eigene Gehirn aus.
Kopfschüttelnd versuche ich die kleine rundliche Gestalt zu vertreiben. Aber es klappt nicht.
„Aua!“ Dieses niedliche Etwas hat mir auf den Fuß getreten.
„Ja! Und du kriegst noch mehr davon, wenn du mich weiter leugnest!“ mit stechendem Blick besieht mich der Typ? Oder die Tante vor mir?
Was ist der denn nun? Ein Männchen oder ein Weibchen? Schwierig. Er ist männlich gekleidet, trägt aber rötlichen Lippenstift. Und die Gesichtszüge sind ebenfalls sehr weiblich …
„Ich bin ein Mann!!! Meine Gesichtszüge sind nicht weiblich! Sondern jugendlich. Eine absolute Frechheit von dir! Eine Beleidigung.“ Krass, das Ding kann sogar Gedanken lesen. Ja, das ist dann wohl der Beweis für Verrückt-werden.
„Boah! Wenn du jetzt durchdrehen willst, dann nur zu. Ich halte dich nicht auf. Kann dir gern eine gute Psychiatrie empfehlen. Wollte sowieso nicht den Auftrag haben. Einem verwöhnten Menschen sagen, dass er sein Leben in Irrtum verbracht hat, ein Nachfahre von Merlin ist, und wir dringend seine Hilfe brauchen.“
„Okay, ich wähle die Psychiatrie, das erscheint mir logischer.“ Bitte, bitte, bitte, holt mich hier weg. Ich verliere wirklich meinen Verstand.
„Bist du jetzt fertig?! Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit für deine Mimosen. Eigentlich sollte dir bewusst sein, dass ein psychisch-kranker Mensch kaum die ärztliche Hilfe als Erstes wählt. Nein, er verbleibt im Leugnen, ein typisches Krankheitssymptom.“
„Ist ja gut, ich habe verstanden. Erzähl, was du nicht lassen kannst und dann lass mich bitte in Ruhe.“
„Endlich! Endlich sagst du etwas Vernünftiges. Nur, dass ich dich erst ins Schattenland bringen muss. Dann lasse ich dich in Ruhe. Du bist danach vollkommen auf dich gestellt.“
„Komm schon. Hau raus, was du mir zu sagen hast.“ Dieser winzige Typ geht mir echt auf die Ketten. Hoffentlich bin ich den bald los.
„Gut. Du bist Prinzessin Elara. Als du ein Baby warst, trachtete dir deine Tante Elodie nach dem Leben. Darum haben König Eloid und Königin Eldrid – die stehen einfach alle auf Vornamen mit E, ist so eine Familientradition – entschieden, dich als ihre einzige Tochter in der Menschenwelt in Sicherheit zu bringen. Du wurdest von Unwissenden aufgenommen. Leider konnte deine Tante einen Teil ihres Planes in die Tat umsetzen.“
Mit ausschweifenden Worten berichtet mir der mystische Kerl, dass diese Elodie meine echten Eltern umgebracht hat. Dann übernahm diese Frau den Thron und herrschte in Schrecken über das gesamte Königreich. Obwohl ich der rechtmäßige Thronerbe gewesen wäre. Wobei ich das auch erst mit 21 bin. Vorher müsste ein Vorgesetzter meine Amtshandlungen verwalten. So will es das Gesetz. Damit mich meine neugewonnene Tante nicht vorher beseitigt, hat die ewige Garde entschieden, dass ich bis 21 in der Menschenwelt bleibe. Was auch immer diese ewige Garde sein soll.
„So, jetzt weißt du es. Nun hör auf zu Zetern und komm mit mir.“ Eine knorrige Hand greift meine samtene Hand und zieht an mir.
„Nee, du lass mal. Ich bleibe lieber hier. Auf eine mordlustige Tante in irgendeinem Fantasiereich ohne Licht habe ich echt keinen Bock.“
„Keine Widerrede! Du kommst mit. Sonst streichen die mir die gesamte Ration an Mittagessen und Nachspeise. Und das ist nur der harmlose Teil der Strafe.“
„Ach wie schrecklich, dann könntest du dein kleines Wohlstandsbäuchlein verlieren.“ Dieser kleine seltsame Typ hat einen schraubstockfesten Griff. Meine beleidigenden Worte lockern den jedoch kein bisschen. Im Gegenteil, der quetscht mir noch mehr meine Hand zu.
„Ob du willst oder nicht, ich nehme dich mit. Danach kannst du machen, was du willst. Und den Versuch, zurück in die Menschenwelt zu kommen, kannst du dir sparen. Dafür brauchst du ein Studium von mindestens 20 Monden.“
„Ja, ja. Meinetwegen, dann komme ich eben mit. Vielleicht wache ich ja bald in meinem warmen Bett auf.“ Hoffe ich zumindest.
Wobei es könnte tatsächlich einer dieser lebhaften Träume sein, die ich manchmal habe. Wenn ich danach aufgewacht bin, war ich stets orientierungslos.
„Kurze Erklärung: Wir gehen jetzt durch diesen Spiegel. Er ist ein Tor zwischen den Welten. Den können nur Eingeweihte benutzen.“ Mit ruckartigen Bewegungen und seltsamen Worten steht der angeblich jugendliche Winzling vor meinem großen Spiegel. Ein Standardmodell. Warum auch immer, der ein Tor zu einer anderen Welt sein soll.
Gelangweilt setze ich mich auf mein Sofa. Braunes Leder schmiegt sich an meine Jeanshose. Tickend vergeht Sekunde um Sekunde. Jede einzelne wird von meiner Uhr über der Wohnzimmertür verkündet.
Steht tatsächlich ein Fantasiewesen vor meinem Spiegel und versucht sich im Hexen. Und hat mir kurz zuvor erklärt, dass auch ich Magie in mir hätte. Ich? Eine Hexe!
„Kannst du endlich mal ruhig sein! Deine Gedanken lenken mich ab.“ Mit zusammengekniffenen Augen blickt mich der Fantasietyp an.
„Hallo! Ich bin eine Frau! Wir müssen immer denken!“ verteidige ich mich.
Wahrscheinlich weiß der kleine Typ gar nicht, wie er zurückkommt.
Plötzlich ändert sich das Spiegelbild. Eine wunderschöne Landschaft und zwei stattliche Männer treten an das übliche Bild von meinem Wohnzimmer.
„Ach Terjan, klappt es wieder nicht mit dem Weltenzugang?“ Beide Männer schütteln sich vor Lachen.
„Ich habs euch gesagt, dass ich das nicht machen will.“ Wütend stapft der Winzling vor dem Spiegel herum.
„Du kannst keinen Auftrag ablehnen. Das weißt du. Dann hättest du nicht den König verplappern dürfen.“
„Denk dran, dass es harte Konsequenzen für dich hat.“ Diese gezischten Worte sind sehr unpräzise. Warum führt dieser Mann nicht weiter aus, was damit gemeint ist? Hat mein Unterbewusstsein so wenig Traumfantasie?
„Terjan, wir übernehmen ab hier.“ Einer der beiden stattlichen Männer greift aus dem Spiegel heraus und zieht Terjan in seine Welt. Dann kommt er aus meinem Wohnzimmerspiegel heraus.
„Prinzessin, mein Name ist Rudolph, stets zu euren Diensten.“ stellt er sich mit einer tiefen Verbeugung vor.
Nur mit viel Mühe kann ich mir ein Lachen verkneifen. Rudolph! Meine Fantasie ist echt genial, fehlt bloß die rote Nase.
„Freut mich, Sie kennen zu lernen.“ Mit einem höflichen Knicks, den ich in einem dieser Hollywood-Mittelalter-Filme gesehen habe, antworte ich ihm.
Galant ergreift er meine rechte Hand und führt mich durch den Wohnzimmerspiegel.
Ein kalter Schauer erfasst mich. Anschließend spüre ich weichen Boden unter meinen Füßen. Wohlige Wärme umgarnt meinen Körper.
Ich atme tief ein. Exotischer Blumenduft erfüllt meine Nase. Kombiniert mit Wiesenkräutern. Super Kombi.
Moment mal! Wieso kann ich riechen? Ist der Geruchssinn nicht im Schlaf abgeschaltet? Wenn das wirklich so ist, dann … dann … ist das tatsächlich kein Traum, oder?!