Sie schaute auf dies unschuldige Kind.

Die Kleine war wieder mal dabei aufzuräumen.

Stelle die beiden Hocker überaus sorgfältig nebeneinander und Toni und Gretel darauf ab. So hießen ihre beiden Lieblingspuppen. Die frisch gekämmt und fertig waren zum Hinsetzen. Prüfte nochmal, ob die Pfannen auch genau auf den markierten Kreisen standen, den Kochplatten. Schloss mit der Puppenstube ab und knüpfte das Band, das als Tür diente, zu. Verließ ihr Reich in der Ecke hinter dem hohen Fußende des Bettes Richtung Bücherregal. Nein, diesmal die Schublade darunter. Holte die Karten hervor. Ein Deck bei dem die Herz 10 fehlte. Seit sie selbst Kind gewesen war.

Das konnte niemand nachfühlen.

Was es hieß, seinem Kind weh zu tun.

Wie war es bloß so weit gekommen? Sicher, kein Beruf war schon schlecht. Aber die Drogen? Sicher, falsche Männerentscheidung. Sie hatten sich auf der Akademie kennengelernt. Er war in der Meisterklasse über ihr. Und sein Maltalent hatte ihm genauso wenig eingebracht wie ihr. Vielleicht die ewige Sorge ums Geld? Vielleicht, dachte sie, würde ihre Kleine ja etwas Besseres. Lehrerin. Das machte sie oft, Toni und Gretel zu unterrichten. Bloß einen anständigen Beruf. Studienrätin. Beamtin.

Die Karten waren wieder zurückgeräumt an ihren Platz, dafür hatte sie jetzt vor dem Puppenhaus einen Briefkasten aus einer Packung Knäckebrot und als Überdachung den Herzbuben und die Herzdame drauf. Allergenauestens hinplatziert, damit die beiden Karten auch nicht in sich zusammenfielen. Nur der Rest vom Schlafzimmer war Kraut und Rüben. Schmuddelecken und Verwesungshaufen, Schuhtürme und ihr alter Rucksack oben drauf. Die Bettwäsche ein halbes Jahr nicht gewechselt.


Wieder zwei Tage in totaler Trance.

Die Kleine sang gerade ihren Puppen vor.

Alles o.k., keine Katastrophen passiert. In ihrer Dämmerzeit, wie sie es nannte. Bis auf … da war die Schulklasse mit Toni und Gretel, die Musikunterricht hatten, die Küche mit dem Ofen und den Pfannen und Töpfen drauf und davor der Kaufladen … am Fuß des Bettes der Briefkasten … nur die Dachkonstruktion aus Herzbube und Herzdame einander wechselseitig stützend … war nicht mehr da. „Und das Dach?“, hörte sie sich unvermittelt fragen. Mitten hinein ins Kuckuck-und-der-Esel-Lied.

Ihr wunderbarer Engel hörte sofort auf mit dem Gesang. Lächelte der erwachten Mama freudig zu. Hatte sofort verstanden, was gemeint war, denn sie kam sogleich angelaufen, mit einem großen Blatt in der Hand. „Für die beste Mama der Welt, die schönste Prinzessin der Welt!“ Der brutale Schmerz schnitt ihr jedes Wort des Lobes oder Dankes oder Ermunterung jäh ab. Ihr Kind blickte erwartungsvoll. Es war dieser Blick. Vom Blatt schaute sie die bis ins letzte Detail perfekt abgemalte Herzdame an.


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