„Schon seit Tagen schüttet es wie aus Eimern. Wann hört dieser Regen endlich auf? Für sie am anderen Ende der Leitung – Herr Regenmacher vom Globatec Wetterdienst.“

„Das ist ein ausgesprochen seltenes Wetterphänomen zu dieser Zeit. Aber die wissenschaftliche Erklärung dafür…“

Plötzlich bricht die Übertragung ab und das autonome Auto meldet sich: „Notfallabschaltung wird aufgrund einer Störung der Leitstelle durchgeführt. Das Auto wird nun am Straßenrand abgestellt. Wir entschuldigen uns für diese Unannehmlichkeit.“

Mit der kargen Aussage bleibt Eisoff am Straßenrand liegen. Schon wieder? Bereits zum fünften Mal diese Woche. Ist bestimmt wieder diese Hackergruppe. Wie soll man so irgendwo pünktlich hinkommen?

„Na toll, auch das Internet scheint davon betroffen zu sein“, schlägt Eisoff empört mit der Faust gegen den Sitz. Minutenlang starrt er in die Gegend. Mal auf die Armaturen, in der Hoffnung, dass alles wieder vorangeht, mal durch die Scheiben.

„Boah, ist das langweilig, es passiert einfach nichts und wo bin ich hier eigentlich?“

Eisoff drückt seine Stirn an die Scheibe und blickt konzentriert hindurch. Ah, ein Straßennamenschild. Sektor 12 Ring 10. Das müsste irgendwo kurz vorm Ende der Stadt sein. Ich lebe zwar schon 10 Jahre in dieser Stadt, aber ich war noch nie in dieser Ecke.

Zögerlich öffnet er die Tür. Einige Sekunden später ertönt ein Warnsignal. Vorsichtig entfernt sich Eisoff einige Meter vom Auto.

Sieht gar nicht so gefährlich aus, wie die Nachrichten uns das immer verkaufen. Schmutziger und abgenutzter als die inneren Sektoren ist es jedoch allemal. Und ein bisschen eklig riecht es hier auch.

Ein blinkendes Schild lenkt seine Aufmerksamkeit in eine dunkle Ecke. Die Türscheibe ist so dreckig, dass man leider nicht durchschauen kann. Auch das Namensschild verrät nicht viel, da inzwischen einige Buchstaben fehlen. Vermutlich haben sich Kinder einen Scherz erlaubt. Zumindest deuten die aufgemalten Geschlechtsteile darauf hin.

Eisoff zögert kurz, als er an der Tür steht, doch bevor der Regen ihn ganz durchnässt, tritt er lieber ein. Chemischer Geruch, gemischt mit abgestandener Luft, schlägt ihm sofort in die Nase. Völlig überrascht schaut ihn ein seltsam gekleideter Mann an. Sein Outfit, ich kann es gar nicht richtig beschreiben. Irgendwas aus dem letzten Jahrhundert. Könnte schon ein wenig als Steampunk durchgehen. Vielleicht auch eher als Klebebandpunk. Denn viele Applikationen scheinen aus Klebeband zu bestehen.

„Willkommen – Reisender!“, entfährt es ihm in völliger Überraschung, während er versucht seine Teetasse auf den Untersetzer zu stellen. Er rückt seine Fliegerbrille zurecht und springt aus seinem Sessel auf.

Seine Augen leuchteten vor Begeisterung. „Ich hatte schon ewig keinen Kunden mehr in meinem Laden.“

Eisoffs Blick schweift über die Regale. Nun wird ihm auch klar, was auf dem Schild draußen steht. Ohje, ein Laden für Klebebänder. Wer kauft eigentlich noch so was? Inzwischen hat sich doch das Versiegelungssystem von Globatec durchgesetzt. Irgendwie scheint die Zeit hier stehen geblieben oder noch nicht begonnen zu haben.

„Komm mal dichter, ich führe dich erst mal herum und erzähle dir die Geschichte der Klebebänder“, winkt er seinen Besucher heran.

„Wusstest du, dass Klebebänder ihr Leben als Pflaster begonnen haben?“, plappert er vor sich und überschlägt sich dabei fast.

Nein, das wusste ich nicht, aber es interessiert mich auch nicht besonders. Doch bevor Eisoff ihm das mitteilen kann, erzählt er bereits weiter.

„Ein Apotheker Namens Paul hat sie erfunden. Damit hat er den Grundstein für das Paketband gelegt. Doch ein Schicksalsschlag zwang ihn seine Firma zu verkaufen. Hier siehst du eine Dose mit den Pflastern“, zeigt er auf eine unscheinbar wirkende Dose.

Vergeblich versucht Eisoff irgendwas zu erkennen, doch die Schrift ist inzwischen zu stark ausgeblichen.

„Sein Nachfolger Oskar kämpfte mit einigen Schwierigkeiten. Die Bänder klebten zu gut. Sie machten aus der Not eine Tugend und verkauften sie als Fahrradflicken.“

Einige Schritte weiter, zeigte er ihm eine Vitrine. „Hier siehst du eine Dose mit den Fahrradflicken, wie sie damals verkauft wurden.“

Sie gehen einige Schritte weiter. „Und hier findest du das erste Produkt, mit dem sie wirklich erfolgreich wurden. Ein medizinisches Klebeband.“

„Früher hat man wohl alles in Dosen gepackt?“, blickt Eisoff den Händler fragend an.

„Ja, es war eine andere Zeit. Eine besondere Zeit. Die Produkte sollten exklusiv wirken. Und Dosen waren damals etwas Besonderes. Ein Kollege von mir hat in Ring 9 einen Dosenladen. Wenn du magst, kannst du ihn gerne besuchen. Grüß ihn dann bitte von mir.“

Es gibt noch mehr solche verrückten Läden?

„Oh, Oh und das hier ist ein besonderes Stück Geschichte“, zeigt er auf ein dunkles schmieriges Etwas.

„Wusstest du, dass der Name für dieses Band von einer damaligen Mitarbeiterin abgeleitet wurde? Er setzt sich aus ihrem Nach- und Vornamen zusammen.“

Plötzlich fängt er an sich am Kopf zu kratzen. „Wie heißt dieses Band bloß? Tessa oder wars Trasa? Ach, ich erinnere mich nicht mehr.“ Sichtbar verzweifelt, versucht er sich zu erinnern.

Nein, verdammt bis heute wusste ich nicht mal, dass es überhaupt noch Klebebänder gibt und nun stehe ich inmitten eines Klebebandmuseums.

Aber schon geht der Rundgang weiter. Der Verkäufer präsentiert Eisoff voller Begeisterung die verschiedensten Sorten Bänder in schier endlosen Regalen. Leuchtende, reflektierende, neonfarbige, Absperrbänder, selbstvulkanisierende, magnetische, elektrisch leitende und isolierende.

„Mit diesem Entenband hat man früher alles gemacht. Wenn eine Zombieapokalypse über uns hereinbricht, würde ich mehrere von diesen einpacken. Mit ihnen kann man Sachen reparieren, Waffen bauen und vieles mehr, woran man jetzt vielleicht noch gar nicht so denkt“, zwinkert er Eisoff zu.

Dieses zweideutige Zwinkern ist seltsam. Worauf will der alten Mann hinaus?

„Ach ja, das Militär hat diese Bänder ebenfalls damals benutzt, um ihre Munitionskisten Wasser- und staubfrei abzudichten. Und nach dem Krieg hat man die gleichen Bänder benutzt, um alles was sich damit reparieren ließ wieder zusammenzuflicken. Ist das nicht irgendwie ironisch?“, jauchzte der alte Mann fröhlich, als ob er in Erinnerungen schwelgen würde.

„Irgendwie schon.“ Warum interessieren mich diese Bänder auf einmal? Ich brenne regelrecht darauf, alles über sie zu erfahren.

„In manche Stücke habe ich viel Zeit investiert, um sie zu bekommen“, zeigte er auf ein Regal, in dem viele dieser Entenbänder aufgereiht standen.
„Mit diesem wurde Marie Hart damals gefesselt vorgefunden. Ihr Mörder wurde nie geschnappt. Damit wurde in den 1990ern ein Teil an einer Raumkapsel fixiert, dass sie überhaupt wieder landen konnten.“

Plötzlich, am Ende der verworrenen Gänge, sieht Eisoff ein Band, das in einem beleuchteten Schaukasten steht. Von Neugier getrieben unterbricht er den Händler in seinem Redefluss. „Was hat es damit auf sich?“

„Oh das ist etwas ganz Besonderes! Eine Legende besagt, dass ein Mann auf einer Insel übernachtet hat. Ein Sturm entriss einen Baum dem Boden und beschädigte sein Flugvehikel. Um einen Verletzten auszufliegen, versah er es mit Kunststoffteilen und versteift alles mit diesem bereits erwähntem Entenband. Danach hat er den Kranken ins Hospital geflogen.“

„Ich bin total fasziniert. Ich hätte nie gedacht, dass Klebebänder so vielfältig sind. Ich danke Ihnen vielmals für diese interessanten Einblicke. Gibt es hier noch mehr Bänder mit spannendem Hintergrund?“

„Natürlich, hier stecken viele interessante Geschichten. Geschichten, die dieses seelenlose Produkt von Globatec nicht bieten kann.“

Ein Vibrieren lenkte Eisoffs Aufmerksamkeit auf sein optisches Interface. „Das Internet geht wieder. Ohje, ist es wirklich schon so spät? Ich verpasse noch meinen nächsten Termin. Tut mir leid, aber ich muss los. Es war sehr schön bei Ihnen. Haben Sie noch einen schönen Abend.“

„Grüß mir Herr Becher im Ring 9“, ruft ihm der alte Mann noch hinterher, bevor die Tür ins Schloss fällt. Zufrieden setzt er sich in seinen Sessel und greift nach seiner Tasse.

„Bäh, der Tee ist ja inzwischen völlig kalt und ungenießbar. Ich sollte mir einen Neuen kochen.“


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