„Guten Tag meine Damen, wie kann ich Ihnen helfen?“
„Ist diese Rechnung aus Ihrem Laden?“, begann Anja.
Der Mann betrachtete aufmerksam das Papier.
„Ja, die Quittung habe ich selbst ausgestellt.“
„Aber der Preis“, ergänzte Sonja, „das muss doch ein Fehler sein!“
„Zehn Euro? Das ist absolut korrekt.“
Die jungen Frauen sahen sich verständnislos an.
„Erinnern Sie sich auch an die Kunden?“
„Gewiss, Maximilian und Katharina.“
Sonja verdrehte die Augen. „Unsere Kinder Maxi und Kathi.“
Sie zückte ein kleines, edles Etui und klappte es auf. „Wie können Sie Siebenjährigen so etwas verkaufen?“
Prüfend beugte sich der Verkäufer vor. „Ist damit etwas nicht in Ordnung?“
„Nicht in Ordnung?“ Anja schrie fast. „Das hier ist ein teures Schmuckgeschäft.“
„Ja, mit handgefertigten Einzelstücken in höchster Qualität versuche ich, gegen die Billigkonkurrenz aus dem Internet zu bestehen.“
„Da haben wir es! Das ist bestimmt echtes Gold.“
„Genau genommen handelt es sich um bicolore Ringe aus Weiß- und Gelbgold mit 18-karätiger Legierung, hochpolierter Oberfläche und drei Diamanten.“
Anja musste sich abstützen. „Und das verkaufen Sie an Kinder?“
„Die beiden haben sich für diese Ringe entschieden – eine gute Wahl.“
„Und der Betrag?“
„Sie hatten nur zehn Euro dabei, also musste ich den Preis anpassen.“
„Anpassen? Wollen Sie uns auf den Arm nehmen? Wieso verkaufen Sie sündteure Ringe für Erwachsene zu einem Spottpreis an Kinder?“
„Weil mich noch nie eine Liebesbekundung zweier Menschen so berührt hat. Die Gefühle füreinander sind rein und unverfälscht. Sie haben vor, zu heiraten, wenn sie erwachsen sind. Deshalb verlangten sie auch keine Kinderringe. Ganz ehrlich, wie hätte ich da Nein sagen können?“
Anja blies die Backen auf. „Nun mal halblang! Sie erzählen hier irgendwas über Liebe und Heirat. Glauben Sie wirklich, dass die beiden eine Vorstellung haben, was wahre Liebe ist. Wer weiß, ob sich ihre Wege nicht trennen.“
„Ich hatte von reiner und unverfälschter Liebe gesprochen, ein großer Unterschied zu Gefühlen zwischen Erwachsenen. Ob sich Ihre Kinder später tatsächlich ineinander verlieben - äußerst unwahrscheinlich. Es gibt angeborene psychologische Mechanismen die verhindern, dass man sich in die Menschen verliebt, mit denen man aufwächst, auch wenn man nicht blutsverwandt ist. Damit verhindert die Natur Inzest, denn in der Regel sind es eben Geschwister, die ihre Kindheit miteinander verbringen.“
„Dann ist mir erst recht unklar, warum Sie ...“
„Weil mich dieser Moment so bezaubert hat. Zwei Kinder, die gerade mal so groß sind, dass sie über die Verkaufstheke sehen, gestehen sich ihre Liebe – oder was sie dafür halten.“ Er beugte sich vor. „Natürlich verstehe ich Ihre Skepsis. Ein Vorschlag von mir: Ich werde die Ringe im Safe verwahren, bis Ihre Kinder volljährig sind. Danach können die beiden selbst entscheiden, was damit geschehen soll. Sind Sie einverstanden?“
Unschlüssig sahen sich Anja und Sonja an.
„Ich hoffe, das Wort, das Sie suchen, ist Ja.“