„Ja?“, meldete sich Angelika.
„Spreche ich mit Frau Wagner, Frau Angelika Wagner?“ Die forsche Stimme gehörte zweifelsfrei einem Mann.
„Ja, ich bin Angelika Wagner … und wer sind Sie?“
„Frau Wagner! Schön, dass ich Sie erreiche! Mein Name ist Maurice de Bright von der Agentur Bright life for all … aber sagen Sie doch einfach Maurice.“
„Eine Agentur? Aber ich brauche nichts und will auf keinen Fall etwas abonnieren!“
„Natürlich nicht, liebe Frau Wagner. Im Gegenteil.“ Maurice machte eine bedeutungsschwangere Pause. „Unsere Agentur hat Sie ausgewählt, um das neue Gesicht einer Modekette zu werden.“
Angelika öffnete den Mund und schloss ihn wieder, ohne etwas zu sagen.
„Natürlich sind Sie sprachlos … wie sollte es auch anders sein. Aus über zweihundert Bewerberinnen ausgewählt zu werden kommt sicher unerwartet.“
„Eine Modekette? Bewerberinnen? Was …?“
„Natürlich haben Sie viele Fragen, Frau Wagner, aber erst einmal herzlichen Glückwunsch!“
„Wie kommen Sie überhaupt auf mich, ich habe doch gar nicht …?“
„Keine falsche Bescheidenheit, Angelika … ich darf Sie doch Angelika nennen?“
„Also, wenn Sie …“
„Danke liebe Angelika. Wie sind wir nun auf Sie gekommen. Nachdem Sie uns den Link zu Ihrem Facebook-Account geschickt hatten …“
„Facebook? Aber ich habe nie …“
„Natürlich haben Sie in den sozialen Medien keinerlei persönliche Daten preisgegeben. Weder Telefonnummer noch Adresse. Das ist sehr vernünftig! Lediglich Ihr Name und der Hinweis, dass Sie in München wohnen. Ihre Fotos sprechen allerdings für sich.“
„Ich weiß immer noch nicht … wie sind Sie denn dann an meine Telefonnummer gekommen?“
„Aber Angelika, man muss doch nur Eins und Eins zusammenzählen: Angelika Wagner aus München. Eine Telefonnummer ist für eine aufstrebende Agentur wie der unseren kein Problem.“
„Aber Angelika Wagner ist doch ein Allerweltsname.“
„Das stimmt allerdings. Wenn wir Sie als neuen Star am Modehimmel etablieren, müssen wir Ihnen einen international griffigen Namen geben. Vielleicht Zoey Taylor. Was meinen Sie?“
Angelika versuchte, das gerade Gehörte zu verstehen.
„Natürlich ist das viel auf einmal. Am besten, wir besprechen den Neuanfang in Ihrem Leben bei einem persönlichen Treffen. Kommen Sie doch morgen am Samstag um 10:00 in unsere Agentur, Sonnenstraße 12, erster Stock. Ich freue mich auf Sie … und die Modewelt wird Sie lieben.“
Angelika starrte noch einige Zeit ungläubig auf das Telefon, bevor sie sich einen Tee machte, an den Küchentisch setzte und nachdachte. Dann wählte sie die Nummer eines ehemaligen Schulfreundes und erzählte ihm von dem ominösen Anruf.
Eine Stunde später rief der Freund zurück.
„Mein Sohn hat mal recherchiert. Es gibt tatsächlich mehrere Facebook-Accounts mit dem Usernamen Angelika Wagner. Für die Sache mit der Agentur kommt aber eigentlich nur einer in Frage. Dort sind Fotos einer wirklich attraktiven jungen Frau zu sehen, die sich so nennt und angeblich in München wohnt … sonst nichts. Und ich bin sicher, dass dies ein Fake-Account ist ohne realen Hintergrund. Der Typ von dieser Agentur ist wohl auf die schönen Augen des Models reingefallen. Das darf dem nie passieren. Und dann hat er wohl auch noch die erste Nummer aus dem Telefonbuch genommen, die zu dem Namen und zu München passt … was für ein Idiot.“
Angelika bedankte sich bei ihrem Freund, überlegte einige Zeit, fasste einen Entschluss und begann zu lächeln.
Besonders heutzutage darf man doch niemanden diskriminieren, wenn er nicht den herkömmlichen Schönheitsvorstellungen entspricht. Schließlich gibt es inzwischen sogar bei Germanys Next Topmodel kurvige und ältere Models. Ich werde morgen zu diesem Treffen gehen und mich vorstellen. Der wird Augen machen. Dann kann mir Maurice auch noch nachträglich zu meinem fünfundachtzigsten Geburtstag gratulieren.