Er hält sich für einen begnadeten Schriftsteller. Der beste überhaupt, jedenfalls in der Gegenwart. Die Anerkennung fehlt zwar noch, aber es wird nicht mehr lange dauern und dann wird sein Genie offenbar werden.

Einige Publikationen, meistens Kurzgeschichten, waren in Anthologien erschienen und ein Verlag hatte ihm angeboten seinen Erstlingsroman zu veröffentlichen. Auf eigene Kosten, aber immerhin.

Sein nächstens Werk würde etwas völlig Neues sein. Eine Weltsensation.
Etwas Nie dagewesenes. Nobelpreiswürdig. Alles wird anders werden:
das Konzept, das Thema, die Wortwahl, der Satzbau, der Spannungsbogen,
einfach alles sollte revolutionär sein und allgemeines Erstaunen hervorrufen.

Er setzte sich an den Schreibtisch und begann. In den nächsten Wochen füllte er mehrere Hundert Blatt mit seinen Gedanken. Die Stapel eng beschriebener Seiten wuchsen auf allen möglichen Unterlagen. Ob Vertiko, Bett oder Teppich, überall zeugten weiße Papiersäulen von seinem Schaffen.

Er schrieb wie in Trance. Lyrik und Prosa, politische und wirtschaftliche Abhandlungen, Aphorismen, Kalendersprüche oder Science-Fiction, er beschäftigte sich gleichermaßen mit allen Themen. Doch Zufriedenheit wollte sich nicht einstellen. Er musste sich eingestehen, dass er immer der Zweite geblieben war. Jemand vor ihm hatte sich bereits erfolgreich mit der Materie auseinandergesetzt.

Der Mann ging ins Wohnzimmer, nahm wahllos ein Buch aus dem Regal und setzte sich auf die Couch. Er öffnete den Band, las einige Zeilen und wusste, dass sein Plan scheitern musste. Er kehrte zum Schreibtisch zurück und tippte das Zitat ab.

Es gibt keinen Neuschnee. Kurt Tucholsky 1931.


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