Inzwischen hasst er Halloween. All diese bunten Verkleidungen. Niedliche Mädchenkostüme und Jungen im Superheldenanzug. Nein, das ist nichts für ihn. Halloween soll gruselig sein. Erwachsene und Kinder haben sich zu fürchten. Doch wie können sie es, wenn eine Fee mit glitzerndem Rock die Straße entlang hüpft? Von Tür zu Tür geht und in kindlichen Tönen "Süßes, sonst gibt's Saures!" ruft.
Wo sind die echten Gruselwesen? Die Banjees, die Werwölfe und Sensenmänner?
Ach, wie vermisst er die Zeit als es okay war, ein Kind zu erschrecken. Als die Eltern applaudierten, weil er aus dem schwarz lackierten Sarg in seinem Vorgarten stieg.
Inzwischen schimpfen die Eltern, wenn Klein-Anna oder Klein-Louis sich vor Angst an ihre Rockzipfel klammern.
Die Kinder von heute erleben eine für ihn erdrückende Erziehung. Dabei hat er schon viele Erziehungsstile kommen und gehen sehen.
Hoffentlich ist es auch diesmal so.
Aber so lange sich Papa und Mama jeden Zacken aus der Krone brechen, um ihrem Nachwuchs jedwede Negativ-Erfahrung zu ersparen, sie mit Unterwäsche ins Bett schicken, damit das morgendliche Waschtheater übergangen werden kann - Pullover drüber und erledigt. So lange wird er sich gedulden müssen.
Seinen Erfahrungen nach wechselt die Erziehungsrichtung mit den Elterngenerationen. Dauert also nur 15, 20, 25 oder gar 30 Jahre.
Was aber soll er in der Zwischenzeit machen? Wie soll er die Halloweenzeit Jahr für Jahr überbrücken? Schließlich steht ihm auch etwas Spaß zu.
Sollte er noch mal eine Erwachsenenfeier organisieren? Obwohl die heutigen Erwachsenen genauso verweichlicht sind, wie sie ihre Kinder erziehen? Drohen immer mit dem Anwalt, kündigen beim leisesten Problem und werden bockig, wenn ein anderer das letzte Käsebrötchen ergattert.
Nein, das macht ihm wirklich keinen Spaß.
"Papa?" Helle Töne aus dem Mund seiner Tochter "Worüber denkst du nach?"
Sein kleines blasses Mädchen setzt sich neben ihn auf das hüfthohe Fensterbrett des riesigen Fensters im Wohnzimmer.
"Äh ... also ... es ist nichts."
"Papa! Ich bin 345 Jahre alt. Ich kenne dich seit mehr als drei Jahrhunderten. Ich merke, wann dir etwas Probleme macht."
Fast wäre er vom Fensterbrett gerutscht: "Probleme? Wie kommst du denn darauf?"
"Na ja, du starrst seit zwei Stunden deinen Sarg im Garten an."
"Ja, na ja ..."
"Halloween?"
"Ja, Halloween."
"Macht es dich wieder traurig?"
Eine einsame Träne löst sich von seinem Unterlid und rollt über seine Wange: "Ja."
Schnell umarmt die 345-jährige ihren Papa.
"Aber Papa, du kannst trotzdem die Leute erschrecken, wenn dir danach ist."
"Na wie denn? Die machen sich doch inzwischen alle ins Hemd. Sieh nur, wie verweichlicht sie über die Jahre wurden. Haben sogar bei der Stadtverwaltung erwirkt, dass ich meine Guillotine nicht mehr aufstellen darf. Ganz zu schweigen von der Anzeige wegen Lärmbelästigung letztes Jahr. Nur, weil ich vergessen hatte, den Timer für das Wolfsgeheul auszustellen. Und gestern ..."
"Was war gestern?"
"Da kam eine Aufforderung, den Sarg aus dem Garten zu entfernen. Er verschandelt den Anblick in unserer Straße." Mit knisterndem Geräusch zieht der Papa einen zerknüllten Brief aus seiner Hosentasche.
"Oh? Dann ist Zeit für Plan B."
"Plan B?"
"Ja! Eine Anti-Halloween-Party. Mama meinte, dass wir diese Option ziehen, wenn die Menschen dich weiter ärgern."
"Anti-Halloween-Party? Was soll die bringen?"
"Na, nur die gesunden Dinge für Klingelkinder und für die Erwachsenen stellen wir Bambi und Co in den Vorgarten."
"Und das sorgt dafür, dass die wieder mehr Grusel wollen?"
"Unsere Halloween-Süßigkeiten sind legendär. Darum kommen doch jährlich mehr und mehr Kinder."
"Und?"
"Na ja, die Kinder werden enttäuscht sein."
"Aber wie hilft uns das?"
"Ganz einfach, wir machen danach ein Schreiben an die Presse fertig. Dort erklären wir, dass wir uns allen Wünschen der Bevölkerung beugen und uns gegen die Halloweendekoration und eine Feier entschieden haben. Und deshalb das absolute Vorbild in Sachen Umweltschutz und gesunder Ernährung werden wollen."
"Ich verstehe das noch nicht." Kopfschüttelnd sieht der Vater zu seiner Tochter.
"Du kennst doch die Nachbarschaft. Die haben es gar nicht gern, wenn in ihrer unmittelbaren Nähe jemand mehr Moral zeigt. Und zack fangen die an, es besser machen zu wollen."
"Was soll das bringen?"
Die Tochter seufzt übertrieben laut: "Papa! Wenn die erstmal damit beschäftigt sind, sich gegenseitig aufs Brot zu kucken, dann bekommen die nicht mit, wenn du nächstes Jahr deine übliche Deko aufbaust."
Mit hochgezogenen Augenbrauen sieht der Vater sein kleines Mädchen an. Er blickt ihr von einem ins andere Auge: "Und was ist Plan C?"
"Wir machen eine echte Halloweenparty und laden den nördlichen Werwolfsclan ein."
Ein Horrorlachen erfasst den Vater, weit reißt er seinen Mund auf. Lang und spitz zeigen sich seine Eckzähne: "Clevere Mama, dafür könnte ich sie glatt ein zweites Mal zum Vampir machen."
"Oh Papa! Macht das bitte in eurem Schlafzimmer!"


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